Holzminden (red). Was macht überhaupt der Krisenstab? Seit einem Monat tagt er in kleiner Runde täglich, in größerer mindestens zweimal die Woche: Der Krisenstab für außergewöhnliche Ereignisse im Landkreis Holzminden versucht alle Probleme, die mit der Ausbreitung des Virus zusammenhängen, vorzudenken, zu planen und in die richtigen Bahnen zu lenken. Eine Arbeit, die sich weitgehend unterhalb des öffentlichen Radars vollzieht, aber vieles für ein funktionierendes Krisenmanagement unerlässlich ist.

Wer gehört überhaupt in den Stab?

Am 4. März organisiert sich im Landkreis zum ersten Mal ein Krisenstab, bei dem neben dem Landrat und Vertretern aus dem Dezernat für Gesundheit und Soziales und dem Dezernat für Ordnung auch der Rettungsdienst und die Leitung des Polizeikommissariats Holzminden und Vertreter aus der Polizeidirektion Hameln über die Folgen einer sich anbahnenden Coronakrise erstmals diskutieren. Während in den sozialen Medien noch Scherze über die besorgten Blicke der anschließend fotografierten Stabsmitglieder gerissen werden, lassen die Beteiligten schnell weitere Taten folgen.

Auch ohne direkt ausgerufene Katastrophe tritt nur wenig später neben dem Krisenstab auch der Katastrophenstab des Landkreises zusammen, unter anderem um die Materialbestände und Nachschubmöglichkeiten zu prüfen. Während erste Verhaltensempfehlungen zu Corona mit einer Telefon-Hotline des Gesundheitsamtes auf der Homepage des Landkreises bereitgestellt werden, informiert Landrat Michael Schünemann sowohl die politischen Fraktionen als auch die Samtgemeinden so weit wie möglich. Mit jeder Sitzung wird der Krisenstab erweitert und geht ein paar Tage später im Stab für außergewöhnliche Ereignisse auf. An dem Stab werden bis Mitte März die medizinische Führung des Holzmindener Krankenhauses, die Bundeswehr, die Kreisfeuerwehr und schließlich medizinische Hilfsdienste wie das Deutsche Rote Kreuz und die Johanniter beteiligt.

Welchen Fragen muss sich der Stab stellen?

Die Lage verändert sich nahezu täglich, manchmal sogar stündlich. Damit verändern sich auch einige Fragestellungen gründlich und es kommen permanent neue dazu. Andere jedoch bleiben gleichbleibend wichtig und stehen immer wieder im Mittelpunkt. Das Problem des Nachschubs etwa. Denn Desinfektionsmittel, Schutzmasken und -kittel sind Mangelware, die Preise von teils abenteuerlichen Anbietern steigen ins Astronomische ohne dass eine Lieferung wirklich garantiert wäre. Die Nachversorgung bleibt das drängendste Problem, wer sie wann wie bekommen kann und wie man die Vorräte schützen kann, bleibt ein Dauerthema.

Hinsichtlich des Desinfektionsmittels kündigt sich bald Entspannung an, weil die Firma Symrise große Mengen selbst herstellt und dem Landkreis zur Verfügung stellt. Der Stab muss sich in der Folge aber darum kümmern, wie das Mittel gesichert wird, weil medizinisches Material mittlerweile Begehrlichkeiten bei Kriminellen geweckt hat. Mit einem Verteilungskonzept kann zum einenden medizinischen Einrichtung geholfen werden, die das Desinfektionsmittel dringend brauchen. Zum anderen kann so gewährleistet werden, dass der vorhandene Vorrat auch lange hält. ist. Für den Stab ist das Desinfektionsmittel fast schon ein Luxusproblem, denn alle anderen medizinischen Schutzgüter bleiben in den tatsächlich benötigten Mengen wochenlang ein bloßes Versprechen von Händlern und übergeordneten Institutionen. Zumindest für den Rettungsdienst und die Johanniter lassen sich bis Ostern Masken organisieren.  

Personalmanagement

Auch personell muss gehaushaltet werden, denn Infektionen bei medizinischen Diensten etwa, im Krankenhaus oder der Polizei, könnten deren Handlungsfähigkeit unter Umständen dramatisch einschränken. Schon in einer der ersten Sitzungen wird vonseiten der Polizei im Stab eine Frage gestellt, die von der Politik erst zwei Wochen später aufgegriffen wird: Nämlich wie mit häuslicher Gewalt umzugehen ist, wenn ein Quarantänefall vorliegt. Eine knifflige Frage, für die es keine einfache und vor allem keine schnelle Antwort gibt. Als Politiker*innen jedoch zwei Wochen später öffentlichkeitswirksam damit anfangen, Forderungen zu stellen und Vorschläge zu präsentieren, hat der Stab längst eine Lösung erarbeitet.

Das Telefon steht nicht mehr still

Schon einen Tag nach der ersten infizierten Person im Landkreis richtet die Pressestelle des Landkreises in Zusammenarbeit mit der Personalstelle und dem Stab ein Bürgertelefon mit Freiwilligen ein. Ziel ist es nicht nur, die vielen Bürgeranfragen umfassend zu beantworten, sondern auch die bis zum Umfallen recherchierenden und testenden Mitarbeiter des Gesundheitsamtes ein wenig zu entlasten. Schon am Folgetag gehen über 400 Anrufe ein, in den darauffolgenden Wochen durchschnittlich um die 120 pro Tag.

Als sich die Nachfragen nach staatlichen Wirtschaftshilfen mehren, wird schließlich eine zweite Hotline in der Wirtschaftsförderung des Landkreises aufgebaut. Das Bürgertelefon ist weiterhin mit vielen medizinischen Vorabfragen beschäftigt und kümmert sich nach den von der Landesregierung erlassenen Kontaktbeschränkungen und Schließungen auch um die damit zusammenhängenden Fragestellungen. Dem Bürgertelefon nachgeschaltet wird schließlich auch eine seelsorgerische Hotline, die bei Bedarf psychologische Unterstützung anbietet.

Einrichtung eines Testzentrums

Das Land Niedersachsen hatte schon früh versprochen, über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ein Testzentrum einzurichten, um mehr Tests durchzuführen und Zeit zu sparen. Die Frage wo, wann und wie das Testzentrum funktionieren soll, regelt dann schließlich nicht die KV, sondern hauptsächlich der Stab für außergewöhnliche Ereignisse im Landkreis. Eine Frage, die vor allem in den sozialen Medien bewegt und mit der Einrichtung des Testzentrums noch einmal in den Mittelpunkt rückt, ist die, warum denn nicht jeder getestet werde. Die Antwort, dass das weder personell noch vom Material zu leisten ist und auch die Ausbreitung des Virus kaum verhindert, bleibt schwer zu vermitteln. Bis Ostern telefoniert sich neben dem für Nachschub zuständigen Stabsmitglied auch andere Stabsangehörige nach sterilen Abstrichtupfern die Finger wund.

Wie geht es weiter?

Wie es weitergeht? Das kann auch im Stab niemand momentan so ohne weiteres beantworten. Kurzfristige Entwicklungen erfordern eben auch kurzfristiges Handeln“, erklärt Landrat Michael Schünemann dazu. Dass es die Abläufe und die Vernetzung für den Katastrophenschutz dringend wieder zu überprüfen gelte, war ihm schon schnell nach Amtsantritt klar gewesen. Dass das in Echtzeit nur wenige Monate später in der Realität geübt werden muss, hatte er aber dann doch nicht erwartet, auch wenn die Katastrophe bisher nur als Krise eingestuft ist. „Wir haben sicherlich an verschiedenen Stellen nicht alles hundertprozentig richtig gemacht“, resümiert der Landrat bis zu den Osterfeiertagen. Aber vieles sei zumindest mit hundertprozentigem Einsatz von ganz vielen Stellen angegangen und schließlich auch bewältigt worden. Das mache ihn am Ende doch sehr stolz.

Foto: Landkreis Holzminden