Holzminden (haa). Der CDU-Landtagsabgeordnete Uwe Schünemann beschäftigte sich in den vergangenen Monaten mit der Frage: „Wie steht es um unsere Polizei in Niedersachsen?“ Bei Besuchen der Polizeidienststellen im Landkreis Holzminden sowie der Leitstelle Hameln erhielt er eine klare Antwort: Es besteht deutlicher Verbesserungsbedarf. Personalmangel und finanzielle Engpässe prägen den polizeilichen Alltag – nicht nur im Landkreis, sondern in ganz Niedersachsen.
Personalengpässe
Zwischen 2020 und 2025 ist die Zahl der Polizeivollzugsbeamten im Landkreis Holzminden um rund acht Prozent zurückgegangen. Die Zahl der rechnerischen Vollzeiteinheiten sank sogar um neun Prozent. „Viele Kräfte stehen nicht zur Verfügung“, erklärt Schünemann. Teilzeit, Elternzeit und Krankmeldungen führen zu spürbaren Ausfällen – Langzeiterkrankte sind in diesen Zahlen nicht einmal enthalten.
Zudem werde die Polizei weiblicher: „Inzwischen werden mehr Frauen als Männer eingestellt“, so Schünemann. Viele Beamtinnen reduzierten jedoch ihre Arbeitszeit, da familiäre Verpflichtungen und fehlende Kinderbetreuungsplätze eine Vollzeittätigkeit erschwerten. Landesweit sind deshalb rund 1.700 bis 1.800 Kräfte nicht voll einsatzfähig. Das führe zu Überlastung bei den verbleibenden Kolleginnen und Kollegen.
Qualifikationsprobleme bei Bewerbenden
Doch das Problem beginne bereits beim Bewerbungsverfahren. Zwar gebe es durchschnittlich vier bis fünf Bewerbungen pro ausgeschriebener Stelle, doch viele Bewerberinnen und Bewerber seien nicht ausreichend qualifiziert.
„Die Anforderungen wurden gesenkt“, so Schünemann. Inzwischen akzeptiere die Polizei deutlich niedrigere Punktzahlen im Einstellungstest als früher. Die Folge: Die Zahl der Ausbildungsabbrüche steigt. Viele merkten schon früh, dass sie für diesen Beruf nicht geeignet seien.
Imageprobleme und gesellschaftliche Wahrnehmung
Auch die Attraktivität des Polizeiberufs sei rückläufig. Vorfälle wie jener in Oldenburg hätten das Vertrauen erschüttert.
„Der Vorwurf mancher Politiker, innerhalb der Polizei gäbe es rassistische Strukturen, ist gefährlich und irreführend“, betont Schünemann. In der Grundausbildung stünden Demokratieverständnis und die Vermittlung von Werten im Mittelpunkt.
Ein solches Zerrbild könne jedoch die Polizeiarbeit insgesamt gefährden.
Landesweiter Fachkräftemangel
„Der Fachkräftemangel ist kein lokales Problem – er ist landesweit spürbar und wird Niedersachsen auch in Zukunft stark fordern“, so Schünemann. Hinzu komme eine bevorstehende Pensionierungswelle: Viele Stellen würden frei, könnten jedoch mangels Nachwuchs nicht nachbesetzt werden.
Neue Herausforderungen durch Kriminalitätsentwicklung
Neben dem Personal verändere sich auch die Kriminalitätsstruktur. Cyber- und Internetkriminalität erforderten neue Kompetenzen. Ein Beispiel sei die aufwendige Auswertung großer Datenmengen im Bereich Kinderpornografie – eine Aufgabe, die stark zugenommen habe. „Die dafür notwendigen Technologien befinden sich zwar in der Entwicklung, stehen aber noch nicht ausreichend zur Verfügung“, so Schünemann.
Bürokratie und technische Anforderungen
Auch bürokratische Vorgaben belasteten die Beamtinnen und Beamten. Besonders im Einsatz- und Streifendienst nähmen Berichtspflichten zu. Zusätzlich erfordere die Zunahme politischer Versammlungen mehr Einsatzstunden der Bereitschaftspolizei.
EU-Vorgaben verlangten künftig barrierefreie Einsatzmeldungen in mehreren Sprachen. Zwar könne künstliche Intelligenz hier künftig unterstützen – doch oft fehle es an finanziellen Mitteln.
Psychische Belastung
Die gestiegenen Anforderungen bei gleichzeitig sinkenden Ressourcen führten zu wachsender Überforderung.
„Mentale Belastungen durch Überstunden und der ständige Gedanke ‚Wie soll ich das noch schaffen?‘ führen vermehrt zu Krankheitsausfällen“, so Schünemann. Hinzu kämen begrenzte Kapazitäten im Gesundheitssystem. Laut Schünemann fühle sich rund ein Viertel der Polizeibeamten mit ihrer Arbeit überfordert.
Forderungen nach strukturellen Reformen
Schünemann plädiert für ein bedarfsorientiertes Schichtdienstsystem, das flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen würde.
„Doch auch dieses Modell kann nicht greifen, wenn das Personal fehlt – ein Teufelskreis, den wir dringend durchbrechen müssen“, betont er.
Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl
Die Überbelastung der Polizei wirke sich auch auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung aus. Laut einer Studie des Landeskriminalamts Niedersachsen aus dem Jahr 2023 hat sich die Bewertung der allgemeinen Polizeiarbeit tendenziell verschlechtert.
Vorschläge zur Verbesserung
„Es muss etwas passieren“, mahnt Schünemann. Der Polizeiberuf müsse wieder attraktiver gemacht werden – etwa durch Schulbesuche oder die Öffnung für Realschüler. Auch mit besseren Bewerberzahlen brauche es jedoch grundlegende strukturelle Reformen.
„Strukturen müssen verschlankt und Aufgaben zentralisiert werden“, so Schünemann. So könne etwa eine spezialisierte Einheit für Internetkriminalität zentral gebündelt werden, statt in jedem Landkreis eine eigene Abteilung zu unterhalten – das spare Personal und Ressourcen.
Auch die Verteilung von Aufgaben müsse überdacht werden: Ordnungsämter oder Tarifangestellte könnten bestimmte Aufgaben übernehmen, um die Polizei zu entlasten.
Finanzielle Mittel und politische Forderungen
Um die Ausstattung zu verbessern, seien gezielte Investitionen notwendig. Schünemann verweist auf Rücklagen der Landesregierung aus der Corona-Zeit sowie auf die Möglichkeit, im Rahmen einer gelockerten Schuldenbremse gezielt in Bildung und Sicherheit zu investieren. „Wir erwarten auch finanzielle Unterstützung“, so sein Appell.
Appell der Polizeigewerkschaften
In einem gemeinsamen Brief an Innenministerin Daniela Behrens fordern Kevin Komolka (Polizeigewerkschaft), Patrick Seegers (Deutsche Polizeigewerkschaft) und Jörn Memenga (Bund Deutscher Kriminalbeamter) genau diese strukturellen Verbesserungen.
Ziel ist ein direkter Appell an die Landesregierung – und eine politische Reaktion.
Ausblick
Wie sich die Lage entwickelt, bleibt abzuwarten. Fest steht: Die Stimmen der Polizeibeamtinnen und -beamten müssen gehört werden.
„Nur wer genau hinsieht, kann die Probleme erkennen – und lösen“, so Schünemann abschließend. Mit seinem offenen Ohr hat er ein wichtiges Signal gesetzt.
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