Holzminden (sl). Der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments und Spitzenkandidat, Martin Schulz, machte sich auf den Weg in das Weserbergland, um an einem Fachgespräch mit seinem Parteikollegen, Johannes Schraps, teilzunehmen. Noch nie zuvor ist er hier gewesen. Für Rückendeckung schlossen sich Sabine Tippelt, SPD-Landtagsabgeordnete, Margrit Behrens-Globisch, Landratskandidatin, und Christine Berner, Kandidatin für die Samtgemeindebürgermeisterwahl in Bevern, dem Fachgespräch im Marktplatz des Kaufhauses Schwager an. In lockerer Atmosphäre bei Gebäck und Getränken konnten nicht nur SPD Anhänger, sondern besonders Unternehmer und Unternehmerinnen aus dem Kreis Holzminden zu dem Termin erscheinen. Wie ist es für Unternehmen im ländlichen Raum und was kriegen die Unternehmen von Europa mit? Unter diesem Motto diskutierten die Politiker und Gäste angeregt.
Demokratie und Digitalisierung – Wie wirken beide aufeinander?
Für Schulz solle jeder in der Demokratie mitreden können, die Schlauen und die weniger Schlauen. Die Demokratie brauche Zeit, aber derzeit dauere alles viel zu lange. Zu dem zwinge die Digitalisierung die Demokratie zu einem Kommunikationsproblem. Derzeit sind 508 Millionen Menschen in Europa. Dies sei die größte Demokratie, die sich zusammenschließe. Schulz ist sich sicher, dass die Europäische Union auseinander getrieben werde von Wladimir Putin, Viktor Orban und weiteren Staatschefs.
Wettbewerb – Fair oder unfair in der EU?
Laut Schulz herrschen unfaire Wettbewerbsbedingungen in der EU. Die Großkonzerne können überleben, aber die mittelständischen bis kleinen Unternehmen bleiben auf der Strecke. Nach dem Kauf der Seidenstraße befürchte Schulz ein „Aufkaufen der Welt“ von China. Für den 63-jährigen Spitzenkandidat sei das Denken von „Mein Land zuerst“, oder „America First, wie es Donald Trump betitelte, ein Dorn im Auge. Diese Ideologie habe im 20. Jahrhundert zu tragischen Auseinandersetzungen geführt.
Generationen – Was wird weitergegeben?
Der Familienvater mache sich große Sorgen um die Zukunft seiner Kinder und Enkelkinder, denn diese werden für das jetzige Verschulden der Menschen bezahlen. Die „Fridays For Future“ Bewegung sehe der SPD-Politiker als Angstruf vor der Zukunft. „Wir müssen das Erbe so weitergeben, dass wir die EU in Rechten, Freiheiten […] stärken“, appellierte Schulz an die Gäste.
Bürokratie – Noch mehr Papierkram und Behördengänge?
Der für zwölf Jahre selbständige Buchhändler habe die Entwicklung des Papierkrams beobachtet und festgestellt, dass die Steigerung des Papiers zu 90 Prozent mit Misstrauen von den Behörden zusammenhänge. „Wir müssen zurückkehren zu einer Vertrauensstruktur“, ergänzte der Politiker. Häufig sei es so, dass viele Ebenen an verschiedenen Prozessen mitwirken. Hierfür wünsche er sich eine Reduzierung und klare Eingrenzung. Dazu konnte Ralf Schwager nur sagen, dass er seine damaligen Vertragsabschlüsse per Handschlag wie ein Pferdehändler erledigt habe.
Rechtspopulismus – Wie gehen die demokratischen Parteien mit Rechten um?
100 Sitze der 750 Sitze im Europäischen Parlament sind von Rechten besetzt. Schulz habe in seiner Amtszeit als Präsident des Europäischen Parlaments Erfahrungen gesammelt und rufe somit zu mehr Selbstbewusstsein auf. Viktor Orban und Matteo Salvini seien autoritäre Politiker, die zukünftig zusammenarbeiten werden und den Gedanken von „Mein Land zuerst“ verfolgen.
Datenschutzgrundverordnung – Sinnvoll oder ausbaufähig?
„Ich hätte das so nicht erlassen“, stellte Schulz klar. Die DSGVO sei zu kompliziert und schreie nach Verbesserungen. Hier rufe er auch zu mehr Vertrauen auf. Mit „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“, forderte der SPDler zu einer Gesellschaft des Vertrauens auf.
Brexit – Wie reagiert die EU?
„Der Brexit ist ein Drama für Europa und Großbritannien“, definierte der 63-Jährige den Ausstieg von Großbritannien in einem Satz. Dieser Austritt schwäche die EU und Schulz halte das Verhalten des Unterhauses für schändlich, da es nur um Machtstrategien Einzelner gehe. „Es ist noch Musik drinnen“, munterte der Politiker das Publikum auf.
Europawahl – Neue Chancen für Europa?
Am 26. Mai ist es soweit und die EU-Bürger wählen ein neues Parlament. Dazu touren die Politiker durch Deutschland und besuchen einzelne Städte. Schwager finde es nicht gut, dass sich die Abgeordneten selten Blicken lassen. Dazu erklärte Schulz, dass es nicht immer möglich sei.
Zukünftig setze der Spitzenkandidat auf eine bessere Kompetenzeingrenzung, da kommunales in der Kommunalpolitik gelöst werden solle und Brüssel für andere Punkte zuständig sei. „Die EU ist kein Lager für abgebrannte Landpolitik“, erklärte der Spitzenkandidat. In eineinhalb Stunden nahm sich Schulz die Zeit, um über die verschiedensten Themen der Europapolitik mit SPD-Anhängern und Unternehmern zu diskutieren. Trotz Reservierungen blieben einige Plätze leer. Zum Abschied gab es für Schulz noch ein regionales Geschenkepaket mit Produkten aus der Ölmühle und er versprach dem Kaufhausleiter wieder zu kommen.
Fotos: sl