Auch in unserer Region stellen viele Menschen fest, dass nicht nur an Autoscheiben deutlich weniger Insekten kleben, sondern auch seltener Falter, Heuschrecken, Bienen und Hummeln zu sehen sind. Um dem lokal entgegenzuwirken, gibt es aktuell ein Projekt im Naturschutzgebiet Ithwiesen nahe des Segelflugplatzes. In Absprache mit der Unteren Naturschutzbehörde Holzminden haben sich zwei interessierte Landwirte bereit erklärt, ein Teil ihres Grünlands nicht wie gewohnt abzumähen, sondern bis in den frühen Herbst stehen zu lassen. Diese Bereiche, auch Altgrasstreifen/-flächen genannt, bilden wichtige Rückzugsmöglichkeiten für Insekten in der Landschaft, wenn großflächig und gleichzeitig gemäht wird.
Die Mitarbeiterinnen der Ökologischen Station Solling-Vogler (ÖSSV) des Naturparks Solling-Vogler sind mit den ersten Ergebnissen in den Ithwiesen zufrieden: „Wir haben auf einem der Altgrasstreifen viele frisch geschlüpfte Hauhechel-Bläulinge gefunden, die beispielsweise den dort blühenden Hornklee als Nahrungspflanze und zur Eiablage nutzen“ erklärt die Tierökologin Sandra Neißkenwirth. „Außerdem konnten wir Bienen, Schwebfliegen und Heuschrecken beobachten, die sich vor allem auf den Blüten der Wilden Möhre und der Wiesen-Flockenblumen sowie im Gras aufhalten.“
Zusätzlich zu den Insekten profitieren spät blühende Kräuter, die durch zu frühes und häufiges Abmähen nicht aussamen können. Auch Tiere wie Feldhasen, Zauneidechsen und Grasfrösche finden in den höheren Strukturen Nahrung und sichere Rückzugsmöglichkeiten. Bodenbrüter wie die Feldlerche können ihre Brut in Ruhe aufziehen und sich von den zahlreichen Insekten und Samen ernähren. Für einen besonders hohen ökologischen Nutzen kann ein Altgrasstreifen auch als überjährige Schonfläche über den Winter stehen bleiben. Grundsätzlich gilt dabei immer: je höher die Schnitthöhe bei einer Mahd, desto mehr Insekten und andere Kleintiere überleben.
Dabei sind Altgrasstreifen nicht mit den Blühstreifen und Blühflächen auf Acker zu verwechseln. Denn dort erfolgt eine aktive Aussaat von vorgegebenen Saatgutmischungen, die sich aus Wild- und Kulturpflanzen zusammensetzen und den Insekten vor allem sommerliche Nahrung durch den Blütenreichtum bieten. Vor allem einjährige Blühstreifen, die zum Ende der Vegetation umgepflügt werden, bieten keine unterirdischen Nist- und Überwinterungsstätten.
Um den Insektenschutz noch weiter zu optimieren, findet in den Ithwiesen parallel ein mehrjähriges Forschungsprojekt im Auftrag des Landes Niedersachsen statt, bei dem seltene oder besonders spezialisierte Schmetterlinge und Heuschrecken untersucht werden. „Sie sind empfindliche Messinstrumente für die ‚ökologische Qualität‘ eines Lebensraums. Ihre Situation zu verbessern, hilft zahlreichen anderen Arten, die mit ähnlichen Bedingungen ökologisch vernetzt sind“ berichtet der Biologe Karsten Dörfer von seiner aktuellen Insektenerfassung.
Wer selbst Grünland bewirtschaftet und Altgrasstreifen oder -/flächen stehen lassen möchte, kann sich dies über verschiedene Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen oder Ökoregelungen fördern lassen. Überjährige Altgrasstreifen können aufgrund des hohen Schutzwertes für Pflanzen und Tiere durch weitere Zuschläge honoriert werden. Die ÖSSV bietet dazu in Absprache mit den Unteren Naturschutzbehörden Holzminden und Northeim eine qualifizierte Beratung an, die vom Land Niedersachsen finanziert wird.
Foto: Sandra Neißkenwirth/ÖSSV