Holzminden (r). Klassenfahrt. Die elfjährige Alina* hat Heimweh. Nicht nach ihren Eltern, wie sie ihrer Klassenlehrerin erzählt, sondern nach ihrem 18-jährigen Freund. Es sei so schön, mit dem zu kuscheln, dann sei sie nicht so allein. Ihre Eltern wüssten zwar von der Liaison, wollten den jungen Man aber nicht persönlich kennenlernen. Die Lehrerin ist verstört. Was soll sie tun? Liegt hier vielleicht ein Fall von Kindeswohlgefährdung vor? Wer in Fällen wie diesen keinen Rat weiß, kann sich seit zwei Jahren an die beim Projekt Begegnung angesiedelte Koordinierungsstelle für Kinderschutz wenden. Eine Institution, die hilft, ohne gleich aktiv Maßnahmen einzuleiten.
2016 hat sich der Landkreis Holzminden den aktiven Kinderschutz durch ein weiteres Projekt zur festen Aufgabe gemacht. Seinerzeit wurde eine Koordinierungsstelle geschaffen, die sich mit der Organisation und Strukturierung von Kinderschutzfachkräften auseinandersetzt. Als Träger wurde dafür das Projekt Begegnung gefunden. Weitere Kooperationen wurden mit dem Verein für Sozialpädagogik, der Kinderheimat Neuhaus, dem deutschen Kinderschutzbund Holzminden, der Stadt Holzminden, der evangelischen Jugendhilfe Friedenshort sowie der Lebenshilfe Holzminden eingegangen. Alle freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe stellen qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für den Fachkräfte-Pool zur Verfügung. Mittlerweile informiert der Landkreis Holzminden auch mit einem Flyer über das Beratungsangebot. Dabei werden gezielt Personen, die in ihrer täglichen Arbeit häufig mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, angesprochen.
Wichtigstes Merkmal der Koordinierungsstelle: Sie berät losgelöst vom Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes, so dass es nicht gleich zu einer offiziellen Überprüfung kommt. Denn dass die Wahrnehmungen so uneindeutig sind, wie im Fall Alinas* ist eher die Regel als die Ausnahme. Und auch geschulte Pädagogen zögern dann, sofort Ämter einzuschalten. „Es gibt Situationen im Arbeitsalltag oder im Vereinsleben, in denen große Unsicherheit darüber besteht, ob es sich bei den beobachteten Anzeichen oder erhaltenen Hinweisen um eine Gefährdungssituation handelt oder nicht“, sagt Marion Kuntsch. Kuntsch ist Koordinierungsfachkraft für Kinderschutz und hat mit Fällen wie dem von Alina immer wieder zu tun. In solchen Situationen hätten pädagogische Fachkräfte und Ehrenamtler die Möglichkeit, die Koordinierungsstelle des Landkreises als neutrale Stelle zu kontaktieren, um sich gegebenenfalls auch anonym darüber zu informieren, welche weiteren Schritte unternommen werden sollten. „Wir wollen als unparteiische Instanz dabei helfen, dass individuelle Risiko für die jeweils betroffenen Kinder einzuschätzen“, erklärt Marion Kuntsch. Die Kinderschutz-Fachkräfte unterstützten dabei ausschließlich in Form von Beratung, um gemeinsam ein qualifiziertes Hilfs- und Schutzkonzept für das betreffende Kind zu erstellen. Sie übernähmen weder eine Fallverantwortung noch die Fallsteuerung.
„Bei der Kontaktaufnahme zur Koordinierungsstelle wird geklärt, was genau den Verdacht auf Kindeswohlgefährdung ausgelöst hat und welche Anhaltspunkte wahrgenommen wurden“, beschreibt Kuntsch den Ablauf eines solchen Informationsgespräches. Anschließend werde im „Pool“ der Kinderschutzfachkräfte geschaut, welche Kinderschutzfachkraft mit ihren Qualifikationen die Beratung am besten durchführen könne. „In einem persönlichen Kontakt mit den Ratsuchenden findet dann das Beratungssetting statt“, erläutert sie. Bei Alina* hat sich der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung im Übrigen nicht bestätigt. Es stellte sich heraus, dass sie durch ihre Aussage die Aufmerksamkeit ihrer Eltern erregen wollte, weil sie sich in letzter Zeit eher unverstanden und nicht gehört gefühlt hatte. Doch nicht zuletzt durch die Hilfe der Kinderschutzfachkraft konnten die Eltern von der Lehrerin für den Umgang mit Alina sensibilisiert werden.
Flyer und Informationen können bei Marion Kuntsch, der Koordinierungsstelle des Landkreis Holzminden, unter der Telefonnummer 0 173 - 84 65 555 oder per Mail unter
*Name und Situation sind für den Artikel verändert worden
Foto: Landkreis Holzminden