Kreis Holzminden (r). Als ab Ende 2015 geflüchtete Menschen nach Deutschland kamen, waren die Erwartungen der Unternehmen im Weserbergland hoch, ein neues Reservoir für Ausbildung gefunden zu haben. Bald wurde deutlich, dass es dafür Zeit braucht. Dass Integration gelingt, wenn Unternehmen Chancen geben und mit Unterstützung von Arbeitsagentur und Jobcenter planvoll auf die Ausbildung vorbereiten, zeigt das Beispiel zweier Männer, die ihre berufliche Heimat bei Symrise in Holzminden gefunden haben.
Hamed Mohammadi (32 Jahre) lebte in Teheran, der Hauptstadt Irans. Er absolvierte eine zweieinhalbjährige Ausbildung in der Elektronik, später studierte er. 2015 floh er vor dem Krieg nach Deutschland und fand seinen Wohnsitz schließlich in Holzminden.
Nach einem allgemeinen Integrationskurs in 2016 konnte er sich im vergangen Jahr im Rahmen einer von der Arbeitsagentur Holzminden geförderten Orientierungsmaßnahme mehrere Wochen berufspraktisch bei Symrise, bzw. Tesium (100%ige Tochtergesellschaft von Symrise) weiterbilden. Hamed Mohammadi hinterlässt dort einen guten Eindruck und bekommt ab August 2017 einen Arbeitsvertrag als Helfer in der Metallbearbeitung für die Dauer eines Jahres. Während dieser Zeit hat er ausreichend Gelegenheit, die Arbeitswelt durch aktive Mitarbeit ganz praktisch kennenzulernen und nebenher weiter sein Deutsch zu verbessern. Umgekehrt lernen die Kollegen und sein Chef, ihn und seine Arbeit zu schätzen. Sogar die Verlängerung seines Arbeitsvertrages bei Symrise/Tesium steht im Raum. Aber das ist nicht das Ziel von Hamed Mohammadi: „Ich wollte lernen, wie die anderen auch. Deshalb habe ich auch die zwei Prüfungen gemacht.“ Es sind zwei Prüfungen beim Berufspsychologischen Service der Arbeitsagentur Hameln, die seine Eignung für den Beruf Industriemechaniker bescheinigen und sogar die Eignung für eine erwachsenengerecht verkürzte Umschulung, die besonders anspruchsvoll ist.
Dass er den Einstieg direkt in das zweite Berufsschuljahr schaffen kann, wird bei Symrise/Tesium genauso eingeschätzt. Petra Brychcy, Ausbildungsleiterin bei Symrise und Rüdiger Mendyk, Ausbilder bei Tesium, erklären, wie Hamed Mohammadi im Unternehmen überzeugte: “Wir haben seinen Spaß bei der Arbeit mit Metall gesehen, sein Potential und seinen Willen. Vor allem haben wir gesehen, dass er menschlich in das Team passt. Er hat sich die Türen selber geöffnet. Wir haben nur reagiert auf das, was er selber wollte.“
Am 1. Oktober 2018 beginnt er seine Umschulung als Industriemechaniker bei Symrise. Die Arbeitsagentur fördert die Umschulung mit der Zahlung von Arbeitslosengeld. Damit er auch jede mögliche Unterstützung erhält, finanziert die Agentur für Arbeit zusätzlich umschulungsbegleitende Hilfen (ubH). Jeden Donnerstag nach der Schule bekommt er diese Nachhilfe. „Es geht um Pneumatik und die Berechnung von Aufgaben – das bringt mir was!“, urteilt er selber.
Anders als bei anderen geflüchteten Menschen gibt es bei Hamed Mohammadi keine Unsicherheit mehr über seinen Verbleib in Deutschland - er ist vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als Asylberechtigter anerkannt.
Andreas Siever, Leiter der Geschäftsstelle Holzminden der Agentur für Arbeit Hameln kommentiert: „Für eine Ausbildung ist die Sprache der Schlüssel zum Erfolg. Und um ein ausreichendes Sprachniveau aufzubauen, braucht es eben seine Zeit.“
So war es auch bei Mahmoud Mousa (25 Jahre). Er floh 2015 aus Syrien, kam schließlich allein in Hameln in der Linsingen Kaserne an. Dort lernte er eine deutsche Familie aus Emmerthal kennen, die ihn seitdem sehr unterstützt. Seine Teilnahme an den Sprachkursen im Zusammenhang mit diesem familiären Umfeld ist der Grundstein für seine heute ausgezeichneten Deutschkenntnisse und die sehr gute berufliche und soziale Integration.
Am 4. Februar 2016, beim Speed-Dating des HIT in Hameln, lernt er Petra Brychcy kennen. Ganz bewusst hat er sich bei Symrise angemeldet, „Ich wollte schon in Syrien Chemie studieren, aber es war dort nicht möglich.“ Petra Brychcy zeigt ihm Wege auf, sie ermöglicht ihm ein Praktikum in verschiedenen Bereichen des Unternehmens, wie Produktion und Qualitätskontrolle. Von dort erhält sie über Mahmoud Mousa nur allerbeste Rückmeldungen. Alle merken – der Wille ist da.
In Vorbereitung auf seine Ausbildung zum Chemielaboranten bei Symrise musste er im Vorfeld einen berufspsychologischen Test beim Jobcenter Hameln bestehen, um anschließend in Hannover die einjährige Berufsfachschule, Justus-von-Liebig-Schule in der Fachrichtung Chemie, Physik, Biologie mit dem Schwerpunkt Chemielaborant besuchen zu können. Die Teilnahme ist eine ideale sprachliche und inhaltliche Vorbereitung auf die Anforderungen der Berufsschule. Er beendet die Berufsfachschule mit dem Notendurchschnitt 2,2.
Während dieser Zeit erhält er Hilfe zum Lebensunterhalt vom Jobcenter Hameln-Pyrmont. Von seiner dortigen persönlichen Ansprechpartnerin wird er unterstützt, wo immer es geht. Es besteht ein enger gegenseitiger Kontakt, den der junge Mann auch von sich aus hält um Neues mitzuteilen oder sich beraten zu lassen. Damit er seinen Arbeitsplatz in Holzminden von Hameln aus täglich pünktlich erreichen kann, fördert das Jobcenter Hameln-Pyrmont den Führerschein und ein Auto. Die Fahrprüfung besteht er passgenau einen Tag vor dem Beginn seiner Ausbildung.
Am 1. August erfüllt sich der Berufstraum von Mahmoud Mousa – er beginnt seine Ausbildung zum Chemielaboranten bei Symrise. Zuvor hatte er sich dem üblichen Auswahlverfahren bei Symrise gestellt, genau wie die anderen 74 Auszubildenden, die derzeit bei Symrise zum Chemielaboranten, Chemikant und Destillateur ausgebildet werden. Bei Bedarf kann Mahmoud Mousa zur Unterstützung im theoretischen Bereich ausbildungsbegleitende Hilfen annehmen, welche ebenfalls vom Jobcenter finanziert würden.
Petra Brychcy weiß ihre beiden Azubis zu schätzen – auch deshalb, weil sie weiß, dass die Integration geflüchteter Menschen nicht immer so gut gelingt. Es kommt immer auf den Einzelnen an. Eine Grundvoraussetzung beschreibt sie so, “Wir setzen bei Symrise auf internationale Teams. Dafür brauchen wir Menschen, die sich für unser Unternehmen und ihre Arbeit begeistern, egal, welche Nationalität sie haben“
Zahlen/Daten/Fakten
Vom 1.10.2017 bis zum 30.9.2018 haben im Bezirk der Agentur für Arbeit Hameln 93 geflüchtete Menschen eine Ausbildung begonnen. Im Vorjahreszeitraum sind 36 geflüchtete Menschen in eine Ausbildung eingemündet. Insgesamt waren 230 geflüchtete Menschen als Bewerberinnen und Bewerber bei der Berufsberatung der Arbeitsagenturen in den Landkreisen Hameln-Pyrmont, Holzminden und Schaumburg gemeldet. Das entspricht einem Anteil von 7,4 Prozent an allen gemeldeten Ausbildungssuchenden.
Um erfolgreich die Berufsschule zu besuchen, ist ein höheres Sprachniveau unverzichtbar. Eine Einstiegsqualifizierung bietet Arbeitgebern die Chance, ausbildungsinteressierte Flüchtlinge und deren berufspraktische Fähigkeiten in einem sechs- bis zwölfmonatigen Praktikum besser einschätzen zu können. Umgekehrt lernen die geflüchteten Menschen in dieser Zeit den Beruf und Betrieb kennen. Sie können die körperlichen Anforderungen des angestrebten Berufes realistischer einschätzen und haben auch Gelegenheit, die Berufsschule zu besuchen. Außerdem ist die Einstiegsqualifizierung ein guter Weg, die Deutschkenntnisse im praktischen Austausch mit Vorgesetzten und Kollegen zu verbessern. Gleichzeitig können so auch die notwendigen fachlichen und sprachlichen Kompetenzen für eine betriebliche Ausbildung aufgebaut werden. Bei Bedarf kann eine EQ außerdem mit ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH) unterstützt werden. Der Betrieb zahlt den jungen Leuten während der Einstiegsqualifizierung eine Praktikumsvergütung, die von der Agentur für Arbeit bezuschusst wird. Während des Langzeitpraktikums ist der Jugendliche über die Arbeitsagentur oder das Jobcenter sozialversichert.
Arbeitgeber, die bereit sind, diese Jugendlichen auszubilden oder auf eine Ausbildung vorzubereiten, wenden sich an ihren persönlichen Ansprechpartner im Arbeitgeber-Service oder nehmen Kontakt auf unter der kostenfreien Service-Rufnummer 0800 4 5555 20. Gemeinsam werden die passenden Lösungen entwickelt.
Foto: Agentur für Arbeit Hameln