Holzminden (r). Entgegen der landläufigen Meinung wurden Märchen früher nicht Kindern, sondern ursprünglich Erwachsenen erzählt. Die spannenden Geschichten über gestiefelte Kater und böse Hexen, über schlafende Prinzessinnen oder die sieben Zwerge handeln alle im Kern von Allzumenschlichem: Von Freud und Leid, von Leben und Sterben. Märchen sprechen vor allem Gefühle an, eine Ebene, die bei Menschen mit Demenz lange erhalten bleibt. Während eines Workshops des Senioren- und Pflegestützpunktes im Landkreis Holzminden konnten Seniorenbegleiter und Seniorenbegleiterinnen jetzt mehr darüber erfahren, wie Märchenstunden zu einem lebhaften und bewegenden Ereignis werden können.
Geleitet wurde der Workshop von Angelika Erfkämper. „Märchen berühren unsere Seele“, ist sich die passionierte Märchenerzählerin sicher, „in Märchen verbergen sich Weisheiten und Erkenntnisse für den Menschen.“ Die in den Geschichten verborgenen Botschaften hielten lebendige Bilder für die Seele bereit, weiß Erfkämper. Gerade auch Menschen mit großer Lebenserfahrung hätten sich häufig ihre kindliche Freude an Märchen bewahrt, hat die Workshop-Leiterin die Erfahrung gemacht. Und bei Demenzkranken weckten Märchen individuelle Gefühle, obwohl persönliche Erinnerungen vielleicht schon verloren gegangen schienen. Nicht selten könnten die Zuhörende in eine Welt eintauchen, die persönliche Ängste und Unsicherheiten in den Hintergrund treten ließen.
Besonders schön für Menschen mit Demenz sei es, wenn frei erzählt werde. Das ermögliche einen direkten Blickkontakt und eine begleitende Gestik. Bilder würden während des Erzählens in Worte gefasst, die eigene innere Bilder beim Zuhörenden entstehen ließen. „Märchen laden ein, in Gedanken auf die Reise zu gehen“, fasste Angelika Erfkämper zusammen. Genau eben dieses besondere Erlebnis konnten auch die Seniorenbegleiter und Seniorenbegleiterinnen des Senioren- uns Pflegestützpunktes erleben. Angelika Erfkämper vermittelte Grundlegendes zur Kunst des Erzählens und gab einen Einblick in die Arbeit mit Märchen. Dabei überzeugte sie durch zahlreiche Variationen in Bezug auf die Stimmlage, die Gestik und die Mimik. Darüber hinaus vermittelte sie auch das nötige Handwerkszeug, wie Märchen auch im Umgang mit dementiell erkrankten Menschen eingesetzt werden können.
Die Workshop-Leiterin motivierte die Teilnehmenden zudem, Märchen auch in der Trauer- und Sterbebegleitung einzusetzen. „Sterben und Abschied nehmen sind die größten Grenzerfahrungen menschlichen Seins“, betonte Erfkämper. Märchen und Geschichten könnten in dieser Zeit des Übergangs für Sterbende und trauernde Angehörige eine große Hilfe sein. „Der Märchenheld ist ein Wanderer zwischen den Welten“, stellt sie fest. Er kenne Diesseits und Jenseits und baue Brücken für die menschliche Seele. Märchen könnten dementsprechend zum Wegweiser für Sterbende und Trauernde werden.
„Für alle Teilnehmenden war dieser Workshop eine große, besondere Erfahrung und eine Bereicherung für die eigene Begleitung von Seniorinnen und Senioren“, resümierte Silvia Kieven vom Senioren- uns Pflegestützpunktes nach dem Workshop. Es seien spannende Aktivierungsmöglichkeiten aufgezeigt worden, um das Wohlbefinden der betreuten Menschen zu verbessern.
Foto: Landkreis Holzminden/Silvia Kieven