Holzminden (r). Im Straßenverkehr geht es mitunter hektisch zu. Da kann es schnell passieren, dass einem ein unachtsamer Verkehrsteilnehmer auffährt. Rund 2,34 Million Unfälle mit Sachschaden ereigneten sich laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2017 auf Deutschlands Straßen – Tendenz seit 2014 steigend1. Nach dem Zusammenprall stellt sich für den geschädigten Fahrzeughalter die Frage, wie groß der Schaden ist und was die Reparatur kosten wird. Während die Erstellung eines entsprechenden Gutachtens bisher Tage dauerte, ist dies nun innerhalb einer Stunde möglich. Jens Niebergall ist Gutachtenaufnehmer bei Tüv Nord in Holzminden und erklärt, was hinter der patentierten Live-Expert-Technologie steckt.
Für eine Schadenuntersuchung mussten Gutachter bisher in die Werkstatt kommen, das Unfallfahrzeug vor Ort unter die Lupe nehmen, die Schäden mit Fotos dokumentieren und zur Auswertung zurück in die Zentrale. Ein solches Gutachten wird dann händisch erstellt und zur Werkstatt übersendet. Der komplette Vorgang dauert in der Regel zwei volle Werktage. „Das sind zwei Tage, in denen der Fahrzeughalter im Ungewissen ist, wie hoch sich der Schaden beziffert. Zudem fehlt diese Zeit in der Abwicklung mit der Versicherung, entsprechend länger muss man also auf sein Geld warten“, so Niebergall. „Wir haben uns daher überlegt, wie der Prozess beschleunigt werden kann, ohne dass die Qualität des Gutachtens darunter leidet.“
Die Lösung liegt in einer speziell von Tüv Nord entwickelten Software. Aktuell gibt es sie für iOS als App und für Android-Betriebssysteme als Link zu Google Chrome. Generell funktioniert das patentierte System überall, wo eine stabile Internetverbindung vorhanden ist. Damit ist es möglich, dass der Gutachter in der Schadenzentrale bleibt, während stattdessen eigens weitergebildete Gutachtenaufnehmer den Part vor Ort übernehmen: Diese sind Ingenieure, die ohnehin an einer der bundesweit knapp 250 Standorte von TÜV NORD tätig sind. Per Tablet oder Smartphone sind sie über einen Live-Stream mit den Gutachtern in der Zentrale verbunden. „Einfach ausgedrückt übernimmt der Gutachtenaufnehmer die Rolle des Kameramannes, während der Schadengutachter Regie führt“, erklärt Niebergall. „Letzterer erstellt die Fotos per Fernauslöser in Echtzeit. Das dient neben anderen Eigenschaften des Systems der Fälschungssicherheit.“ Personenbezogene Daten werden übrigens nicht erfasst, auch der Livestream wird nicht aufgezeichnet.
Der Vorteil liegt darin, dass zwei erfahrene Sachverständige das Fahrzeug im Vier-Augen-Prinzip kontrollieren, die die Eigenheiten der meisten Modelle und Marken sehr genau kennen. So können in der Regel auch Vorschäden festgestellt werden, die auf den ersten Blick für den Laien nicht erkennbar sind. Durch die doppelte Kompetenz genießt das Gutachten eine hohe Glaubwürdigkeit. „Jeder hat übrigens im Schadensfall ein Recht auf ein neutrales Gutachten“, weiß Niebergall. „Ab einer Schadenshöhe von 800 Euro übernimmt die Kosten hierfür zudem die Versicherung des Unfallverursachers. Einen preislichen Unterschied zum herkömmlichen Schadengutachten gibt es dabei nicht.“
Aktuell sind 300 geschulte Gutachtenaufnehmer für Tüv Nord tätig. Bis Mitte 2019 sollen ausreichend Sachverständige weitergebildet werden, um das SofortGutachten flächendeckend bundesweit anzubieten.
Foto: PichMeUp Werbeagentur GmbH