Holzminden (r). Die Gabe, richtig zu sprechen, fällt nicht vom Himmel. Entscheidend ist auch, wie viel Input Kinder bekommen und vor allen Dingen, welchen. Dass körperliche oder psychische Beeinträchtigungen frühzeitig erkannt werden, dafür sorgt seit anderthalb Jahren das vom Landkreis initiierte Holzmindener Präventionsprogramm für 3- bis 4-Jährige, kurz HOPP genannt. In dem Programm, bei dem Kinder in Kitas an einer freiwilligen Gesundheitsuntersuchung teilnehmen, sollen frühzeitiger als erst bei der Schuleingangsuntersuchung Probleme beispielsweise beim Sprechen und Wahrnehmen erkannt und behandelt werden. Eine Fortbildung zum Thema Spracherwerb in der Kreisverwaltung sollte jetzt auch Erzieherinnen und Erziehern einen tieferen Einblick in Ursachen und Wirkungen vermitteln.
Es war die erste Tagung des Landkreisbereiches für Kinder- und Jugendgesundheit, die im Rahmen von HOPP Fachkräfte zum Thema Sprache eingeladen hatte. Mit großer Resonanz, denn immerhin hatten rund 100 Kita-Fachkräfte den Weg in die Holzmindener Kreisverwaltung gefunden. „Wir wollen eine Basis dafür schaffen, dass wir da, wo wir Hand in Hand zusammenarbeiten wollen, auch handlungsfähig bleiben“, erklärte Ärztin Jennifer Sturz eingangs der Veranstaltung. Damit Kita-Fachkräfte ein möglichst breites Hintergrundwissen bekommen können, ist die Fortbildung deshalb ausdrücklich als Anfang einer Reihe ausgewiesen. Weitere sollen im Jahresabstand folgen.
Sturz, beim Landkreis als Ärztin für HOPP verantwortlich, begann auch den Reigen der Impuls-Referate. Sie stellte das ab September 2017 in zehn Kindertagesstätten angelaufene Präventionsprogramm noch einmal vor. 100 Kinder und damit 84 Prozent aller möglichen Kindergartenkinder konnten im Rahmen von HOPP im letzten Jahr untersucht werden. Im Jahr 2019 ist die Anzahl aufgrund der teilnehmenden Kitas noch einmal gestiegen. Ende des Jahres könnten 186 Kinder an dem Programm teilgenommen haben, vorausgesetzt, die Quote der jeweils angemeldeten Kinder bleibt in derselben Höhe. HOPP sei vor allem auch deshalb so wichtig, stellte Jennifer Sturz klar, weil schon mit dreieinhalb Jahren die grundsätzlichen Gehirnstrukturen so festgelegt seien, dass essentielle Sprach- und Entwicklungsstörungen später kaum noch aufgeholt werden könnten.
Dass häufig genug einfach nur eine Beeinträchtigung des Gehörs speziell in frühem Kindesalter zu verminderter Sprachfähigkeit führen kann, erläuterte im Anschluss Dr. Georg Thönnissen. Der Holzmindener HNO-Arzt breitete in seinem Vortrag eine Fülle Schädigungsmöglichkeiten im Gehörgang aus, die zu schlechtem Hören schon in frühem Kindesalter und damit auch zu Sprachschwierigkeiten und sogar Verhaltensänderungen führen können. „Ein Kind, das drei Monate lang schlecht hört, hat Sprachentwicklungsprobleme“, stellte Thönnissen fest.
Svenja Henne, die als kreisübergreifende Fachberaterin für Sprachheil-Kitas in Northeim und Holzminden unterwegs ist, zeigte in ihrem Vortrag die unterschiedlichen Ideen für eine gelungene Sprachförderung im Alltag auf. So komme es etwa ganz wesentlich darauf an, als Erzieher oder Erzieherin ein Spachvorbild zu sein, zugewandt, aufmerksam und wenn nötig auch korrigierend Unterhaltungen mit den Kindern zu führen. Und auch dem traditionellen Vorlesen oder den gemeinsamen Sing- und Klatschspielen maß Henne eine entscheidende Bedeutung für den Spracherwerb zu.
Damit sich eine eventuell nötige Therapie im Dschungel der Zuständigkeiten und Genehmigungsläufe nicht verliert, ist die offene Sprachberatung eine gute Hilfe. Diana Lönnecker, bietet so eine Beratung im Holzmindener Sprachheilkindergarten der Lebenshilfe an. Bei der Logopädin können sich sowohl Eltern als auch pädagogische Fachkräfte Tipps bei einem erkannten eventuellen Bedarf holen. "Wir bieten auch Elternseminare an - leider erreichen wir aber häufig nur die Eltern, die es eigentlich nicht nötig haben", erklärte sie in ihrem Referat. Ihr Angebot: Um Eltern stärker zu sensibilisieren, sollen auch in anderen Kitas Elternabende stattfinden oder aber deren Eltern mit in den Sprachheilkindergarten eingeladen werden.
Beate Pohlmann-Keller, ebenfalls Logopädin, beschrieb wiederum, wie viel Einfluss die Psyche auf eine erfolgreiche Therapie haben kann. Kinder, die sprachlich auffällig seien, seien nicht selten auch sehr ängstlich im Sprachgebrauch und trauten sich nicht so viel zu. Viel hänge deshalb davon ab, das Selbstbewusstsein der Kinder entsprechend zu stärken. "Ich kann das Stottern nicht wegzaubern“, sagt Pohlmann-Keller, „aber die Kinder so zu stärken, dass sie zu einem selbstbewussten Stottern kommen“, helfe sehr. „Und manchmal geht es dann ganz von alleine weg", konstatiert sie.
Wo ambulante Sprachtherapie allerdings nicht mehr helfen kann, ist der Sprachheilkindergarten eine sinnvolle Alternative. Joachim Rebentisch vom Holzmindener Sprachheilkindergarten der Lebenshilfe stellte Konzept und Alltag einer solchen Kita vor. Rebentisch merkte an, dass vor allem Jungen stärker von Sprachschwierigkeiten betroffen seien als Mädchen. Ein wesentlicher Aspekt, den Rebentisch im Zusammenhang seiner Arbeit wahrgenommen hat, ist die fortschreitende Digitalisierung der Kinderzimmer. Ein Prozess, den Rebentisch durchaus als lernhemmend für den Spracherwerb wertet. "Ich beobachte einen erschreckenden Anstieg an medienverwahrlosten Kindern“ meinte der Diplom-Pädagoge. Früher habe man zumindest noch schreiben können müssen, um bestimmte Handyvideos zu laden. „Mittlerweile reichen zwei Finger, um Zugang zu Dingen zu haben, die nicht für Kinder geeignet sind."
Fotos: Landkreis Holzminden, Peter Drews