Holzminden (r). Mehr als 200 Bürgerinnen und Bürger hatten sich am Tag des offenen Denkmals zu Baugeschichte und Nutzungsmöglichkeiten der alten Fürstenberger Porzellanmanufaktur informiert. Auf Einladung der Gemeinde Fürstenberg (Weser) hatten Studierende der HAWK in Holzminden mit großem Engagement ihre Semesterarbeiten im Museum Schloss Fürstenberg präsentiert. Im Anschluss konnten die sonst unzugänglichen Manufakturbauten des 18. Jahrhunderts besichtigt werden. Unterstützt wurde die Veranstaltung durch den Freundeskreis Fürstenberger Porzellan e. V. Der TAH berichtete. Diese Präsentation war der öffentliche Höhepunkt eines aufwändigen Praxisprojektes an der HAWK. Lesen Sie hier die Geschichte dahinter.
Der Bachelorstudiengang Baumanagement mit den Schwerpunkten Hochbau und Ingenieurbau an der HAWK in Holzminden bildet seine Studierenden zu Ingenieur/inn/en mit Managementfähigkeiten aus. Nach ihrem Abschluss vereinen sie u. a. Kenntnisse aus den Bereichen Architektur und Bauingenieurwesen. Außerdem erfüllt der Studiengang die Voraussetzung der Bauvorlageberechtigung. Am Ende ihres siebensemestrigen Studiums führen die Studierenden ihr erworbenes Wissen in einem groß angelegten Projekt zusammen: An einem realen Objekt wenden sie in Gruppenarbeit berufspraktische Kenntnisse und Methoden an, um Sanierungs- und Umnutzungskonzepte zu erstellen. Dieses Jahr beteiligte sich die Hochschule damit am Tag des offenen Denkmals.
„Wir legen im Studiengang Baumanagement besonderen Wert auf Praxisnähe“, betont Prof. Dr. Bernd Kubat, Projektleiter und zuständig für Massivbau und Baukonstruktion. „Darum gibt es im Studienverlauf von Beginn an Projekte und Exkursionen zu verschiedenen Themen. Im Projekt des sechsten Semesters geht es um Bauen im Bestand.“ Dazu beschäftigten sich 38 Studierende im Sommersemester 2019 mit der Alten Windmühle in Fürstenberg, einem bedeutenden technikgeschichtlichen Denkmal aus dem Zeitalter des Barock. Das Fachwerkgebäude sollte ursprünglich den ansässigen Bauern als Mühle dienen, wurde jedoch nach dem Tod des Architekten als Laborgebäude einer der ältesten europäischen Porzellanmanufakturen genutzt. Dadurch ergaben sich für das Projekt spezielle Rahmenbedingungen, weiß Prof. Reinhard Lamers, ebenfalls Projektleiter und zuständig für Baukonstruktion und Bauphysik: „Bei der Sanierung und Umnutzung eines solchen Gebäudes sind zum Beispiel Aspekte der Denkmalpflege zu berücksichtigen. Um ein solches Denkmal zu verstehen, sind natürlich grundsolide baukonstruktive und baupraktische Kenntnisse von Nöten. Außerdem sollten die Studierenden in ihren Konzepten Vorgaben der Energieeinsparverordnung einbeziehen.“
Die Geschichte des Gebäudes als Inspiration Zur Einstimmung auf die Aufgabenstellung erfolgte zunächst ein Impulsvortrag mit Ortsbegehung. Archäologe Dr. Stefan Krabath, Referatsleiter am Niedersächsischen Institut für historische Küstenforschung in Wilhelmshaven, referierte über die Geschichte und Nutzung der Alten Windmühle. Sie gehört zu den Labor- und Produktionsgebäuden der frühen Porzellanherstellung in Fürstenberg, die bei archäologischen und bauhistorischen Untersuchungen entdeckt wurden. „Technikgeschichtlich und archäologisch stellen die Bauwerke ein Ensemble von europäischem Rang dar.“
Bauaufnahme, Schadensanalyse und statische Berechnungen Für die Konzepterstellung starteten die Studierenden mit einer Bauaufnahme. Dazu stehen in der HAWK moderne Methoden und Geräte zur Verfügung, wie z. B. ein 3D-Laserscanner. Die Gruppe, die sich mit der Fassade des Gebäudes beschäftigte, setzte zusätzlich eine privat organisierte Drohne ein. „Wir wollten auch das Dach erfassen, um für das Sanierungskonzept einen Dachentwässerungsplan erstellen zu können“, berichtet Carmela Palinkas. „Außerdem konnten wir mit den Drohnenaufnahmen das Grundstück besser überblicken.“ Eine weitere Gruppe erstellte ein 3D-Modell des Schornsteins. Dazu nutzten sie zum einen die Messungen der anderen Gruppen und zum anderen eine Schornsteinkamera. „Uns interessierten zum Beispiel der genaue Verlauf der Züge und ihre Innenmaße sowie die Frage, wo sich die Schornsteinsohle befindet“, erklärt Thomas von Heesen. „Nur mit der Schornsteinkamera war diese ganzheitliche Bauaufnahme möglich.“ Das Gerät lieh sich der gelernte Schornsteinfegermeister von einem Freund. Die Ergebnisse dienten als Vorbereitung für die weitere Entwurfsplanung.
Eine Schadenskartierung und -analyse gab Aufschluss über den Ist-Zustand des Gebäudes. Bei diesen Arbeiten waren Labormitarbeiterinnen und -mitarbeiter der Vermessung, Bauwerkserhaltung, Bauchemie und Baubiologie beteiligt. „Die Lehrenden haben uns während der gesamten Projektphase sehr gut betreut und standen bei Fragen jederzeit zur Verfügung“, betont Carmela Palinkas. Zusätzlich führten die Studierenden computergestützt statische Berechnungen durch. Die Quintessenz aller Untersuchungen floss in die Sanierungs- und Umnutzungskonzepte ein.
Sanierung und Umnutzung des Bestandsgebäudes Auf Grundlage der gesammelten Daten planten die Studierenden die Umnutzung der alten Windmühle. Dazu erstellten sie für die Restnutzungszeit Planunterlagen, Baubeschreibung, Leistungsverordnung des weiteren Rohbaus, Bauabläufe, Termine und Kosten.
Eine Gruppe richtete einen Escape-Room mit Eisdiele und Lounge ein, eine andere plante ein Mehrgenerationenwohnhaus und eine dritte kombinierte Wohnraum mit Arztpraxen. Eine vierte Gruppe entwarf ein Informationszentrum für den Raum Fürstenberg/Höxter. Mit „Porzipizza“ entwarf eine weitere Gruppe ein kulinarisch-kulturelles Angebot, das eine Pizzeria mit einem Mini-Museum vereint, um der Geschichte des Gebäudes Rechnung zu tragen. Ähnlich dachte eine sechste Gruppe, die ein multifunktionales Gebäude mit Hofcafé, Dorfgemeinschaftsraum, Porzellanmuseum und -werkstatt entwarf.
Präsentationen und Führungen beim Tag des offenen Denkmals
Ihre Ergebnisse präsentierten die Studierenden beim Tag des offenen Denkmals in Form von Kurzvorträgen und Postern. Die Geschichte der Manufakturbauten, zu denen neben der Alten Windmühle auch das Brennhaus mit den ältesten erhaltenen Porzellanöfen und die ehemalige Arbeitersiedlung zählen, wurde im Rahmen von Führungen erläutert. „Nirgendwo sonst lässt sich die Geschichte der frühen Porzellanproduktion so eindrucksvoll anhand zeitgenössischer Anlagen vermitteln wie in Fürstenberg“, betont Dr. Sonja König, Abteilungsleiterin beim Archäologischen Dienst der Ostfriesischen Landschaft in Aurich.
„Das Projekt ist sehr praxisnah“, sagt Carmen Palinkas. Besonders positiv bewertet sie die Auseinandersetzung mit einem denkmalgeschützten Gebäude. „Mit der Substanz eines solchen Objekts muss man ganz anders umgehen als mit einem Neubau, und es sind bestimmte Vorschriften zu bedenken.“ Die Studierenden des Studiengangs Baumanagement konnten sich in diesem Projekt problemorientiert mit verschiedenen Aufgabenfeldern ihres späteren Berufes auseinandersetzen und gaben mit ihren Studienarbeiten wichtige Impulse für die zukünftige Erhaltung und Nutzung der Alten Windmühle, eines überregional bedeutenden Denkmals der Technikgeschichte.
Foto: HAWk