Weserbergland (red). Die meisten Klimaregionen der Erde sind zumindest zeitweise im Jahr frostgefährdet. Die Pflanzen haben daher unterschiedliche Strategien entwickelt, dieser Herausforderung zu begegnen. Eine besteht schlicht darin, den Frost gar nicht mehr zu erleben.
Die optimalen Lebens- und Überlebensbedingungen
Die ideale Umgebung für das Wachsen und Gedeihen von Pflanzenarten stellen die Tropen dar. Hier herschen das ganz Jahr über warme Temperaturen und eine hohe Feuchtigkeit. Die tropischen Regenwälder sind daher die artenreichsten Landbiotope der Erde und es ist ziemlich sicher, dass lange nicht alle Pflanzenarten, die dort existieren, bis heute entdeckt sind. Geht man den Globus jedoch vom Äquator aus weiter nach Norden oder Süden, ändern sich die klimatischen Verhältnisse und ein entscheidendes Problem für das Überleben der Pflanzen tritt auf: der Frost. Die Zellen aller Lebewesen bestehen zu einem großen Teil aus Wasser. Dieses hat die Eigenschaft, sich beim Gefrieren auszudehnen. Dabei bilden sich zudem feine, scharfkantige Eiskristalle. Eine Zelle, in der das Wasser gefriert, stirbt daher unweigerlich ab, da das sich ausdehnende Wasser die Zellmembran zerstört und durch die Kälte alle Lebensprozesse zum Erliegen kommen.
Die meisten Klimaregionen der Erde sind zumindest zeitweise im Jahr frostgefährdet. Die Pflanzen haben daher unterschiedliche Strategien entwickelt, dieser Herausforderung zu begegnen. Der dänische Botaniker Christen Raunkiær hat im Jahr 1919 diese Strategien danach eingeteilt, wie die Pflanzen ihre „Überdauerungsknospen“ anlegen, die Art und Weise also, wie sie es im nächsten Jahr nach dem Frost schaffen, wieder „zum Leben zu erwachen“.
Nur der Samen überwintert
Eine dieser Strategien besteht schlicht darin, den Frost gar nicht mehr zu erleben. Die sogenannten Therophyten keimen, wachsen, blühen und bilden Samen innerhalb eines Sommers aus. Das Wort ist vom griechischen „théros“ abgeleitet, das „Wärme“ oder „Sommer“ bedeutet. Im Herbst stirbt die gesamte Pflanze ab und überdauert den Winter nur in Form der Samen. Ein Same hat einen äußerst geringen Wassergehalt und meist sehr harte, verholzte Zellen. Damit ist er sicher vor Frost geschützt. Zu den Therophyten gehören z.B. viele Ackerwildkräuter wie Klatsch-Mohn, Kornblume und Echte Kamille. Hier stellt die Einjährigkeit gleichzeitig auch eine Anpassung an den häufig bearbeiteten Standort dar.
Ein- und mehrjährige Arten
Alle anderen Lebensformtypen der Pflanzen werden von den mehrjährigen Arten, den krautigen sowie den holzigen Pflanzen, ausgebildet.
Zu den krautigen Pflanzen gehören die Geophyten, also wörtlich gesehen die „Erdpflanzen“. Ihre Überdauerungsorgane liegen unter der Erde und sind daher gut vor strengem Frost geschützt. Man bezeichnet sie auch als „Kryptophyten“, abgeleitet vom griechischen Wort „kryptós“, das „verborgen“ bedeutet. Zu den Geophyten gehören in erster Linie die Frühblüher wie Buschwindröschen, Schneeglöckchen oder Lerchensporn. Diese Arten lagern während der Vegetationszeit Reservestoffe in unterirdischen Knollen, Zwiebeln oder Rhizomen (verdickte unterirdische Sprossachsen) ein, aus denen sie im zeitigen Frühjahr des nächsten Jahres die Kraft für den Neuaustrieb ziehen. Häufig sind zusätzlich Salze oder Schleimstoffe in den Überdauerungsorganen eingelagert, die wie ein Frostschutzmittel wirken und so verhindern, dass bei sehr strengen Bodenfrösten das Wasser in den Zellen gefriert. Die bei uns heimischen Geophyten sind typische Waldbewohner. Sie haben sich durch ihre Lebensweise in erster Linie an die kurze Vegetationszeit angepasst, die ihnen zwischen dem kalten Winter und dem Laubaustrieb der Bäume, die ihnen das Licht nehmen, bleibt. Bei den Wildformen der Tulpen und Narzissen, die häufig als Zierpflanzen in den Gärten zu finden sind, handelt es sich um Bewohner kontinentaler Steppen. Sie nutzen das Zeitfenster zwischen kaltem Winter und trockenem Sommer zum Wachsen, Blühen und Ausbilden der Samen.
Ganz nah über der Erdoberfläche und damit durch die herbstliche Laubschicht und Schnee geschützt liegen die Knospen der Hemikryptophyten , also die „Halbverborgenen“. Ihre Knospen für das nächste Jahr bilden sich an der Basis der Triebe dieses Jahres. Als Hemikryptophyten können allgemein die „Stauden“ bezeichnet werden, also z.B. Flockenblume, Margerite oder Schafgarbe. Aber auch die Zweijährigen wie Königskerze, Fingerhut oder Wilde Möhre gehören dazu, selbst wenn es nur ein einziger Winter ist, den die Mutterpflanze überlebt, um inm nächsten Jahr zu blühen, Samen zu bilden und danach abzusterben.
Die Knospen der Chamaephyten (vom griechischen „chamaí“ für „auf der Erde“) liegen einige Zentimeter über der Erde und werden einzig durch eine dicke Schneedecke vor allzu starkem Frost geschützt. Der untere Teil der Pflanze verholzt, während der obere, nicht verholzte Teil im Winter grün bleibt bzw. bei sehr strengen Frösten abstirbt. Ein Neuaustrieb erfolgt dann aus den verholzten Teilen. Zu den Chamaephyten zählen Halb- oder Zwergsträucher wie Besenheide, Thymian oder Preiselbeere. Aber auch Pflanzen der mediterranen Gebiete, in denen Frost zwar auftritt, aber meist nicht sehr stark und ohne Schnee, gehören dazu. Beispiele sind Lavendel, Rosmarin und Echter Salbei.
Bei den Phaneropyten, den „Luftpflanzen“, liegen die Knospen schließlich weit über dem Boden. Sie werden weder von einer schützenden Erd-, Laub- noch Schneeschicht vor Frösten geschützt und sind der Kälte daher recht schutzlos ausgesetzt. Es handelt sich dabei um Bäume oder Sträucher. Ihre Anpassung an den Winter besteht in erster Linie im winterlichen Laubfall. Denn für diese vollständig verholzenden Pflanzen ist nicht der Frost das Hauptproblem, sondern der mit ihm einhergehende Wassermangel. Im Boden gefrorenes Wasser kann von den Pflanzen nicht aufgenommen werden. An sonnigen Wintertagen würde jedoch über die Blätter viel Wasser verdunsten und die Pflanze würde vertrocknen. Der Baum lagert daher im Herbst die meisten Nährstoffe aus den Blättern in seinen holzigen Teilen ein. Dazu gehören in erster Linie die Abbauprodukte des Blattgrüns, des Chlorophylls. Durch das nun fehlende Chlorophyll werden direkt vor dem Laubfall die anderen Blattfarbstoffe, die gelben Carotine und die roten Xanthophylle sichtbar, der Grund für die Herbstfärbung der Blätter. Die den Winter überdauernden Blattknospen sind von vielen trockenen Schuppen oder einem flaumigen Pelz vor Kälte geschützt. Der alljährliche Neuaustrieb der Blätter kostet die Gehölze zwar viel Kraft, aber an langen, warmen Sommertagen kann über die große Fläche der Blätter durch die Photosynthese auch viel Energie produziert werden.
Nadeln statt Blätter
Anders ist es im sehr hohen Norden. Dort sind die Tage im Sommer zwar lang, die Sonne scheint jedoch nicht so hell und warm wie in südlicheren Gegenden. Die Winter hingegen sind sehr lang und kalt. Hier finden sich vorrangig Nadelbäume. Ihre Blätter sind dick, rundlich und hart und bieten daher einen sehr guten Sonnen- und auch Fraßschutz. Ihre Photosyntheseleistung ist zwar aufgrund der geringen Fläche nicht so hoch wie die der Laubbäume, jedoch sparen sie sehr viel Energie ein, indem sie ihre „Blätter“ nicht jedes Jahr neu bilden müssen.
Eigentlich gehören auch die Bäume der Tropen zu den Phanerophyten, jedoch müssen ihre Knospen keinem Frost trotzen und besitzen daher auch nicht die typischen Schutzmechanismen. Trotzdem fallen auch bei tropischen Bäumen immer mal wieder Blätter und werden neu gebildet. Es handelt sich hierbei aber in erster Linie um eine Strategie, alte und häufig von Parasiten befallene Blätter zu ersetzen.
Foto: Nabu