Hannover (red). Niedersachsens Sozialminister Dr. Andreas Philippi hat namens der Landesregierung auf eine dringliche Anfrage der Fraktion der CDU geantwortet.
Die Abgeordneten der Fraktion der CDU hatten gefragt:
Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste spricht laut NDR-Bericht hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage der Alten- und Pflegeheime von einer „sehr ernsten Lage“. Zu den Hauptgründen für die finanzielle Schieflage vieler Betreiber wird - neben steigenden Energie- und Sachkosten sowie hohem Bürokratieaufwand - im Bericht ausgeführt, dass viele Betreiber „schlicht so gut wie kein Personal mehr finden“.
Sowohl Untersuchungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) als auch der Landespflegebericht bestätigen einen massiven Fachkräftemangel. Während das IW ausführt, dass in Niedersachsen über 80 % der offenen Fachkräftestellen in der Pflege nicht besetzt werden können, legt der jüngste Landespflegebericht dar, dass von rund 25.000 zusätzlichen Stellen ausgegangen werden könne, die in den Sektoren der Versorgung zusätzlich besetzt werden könnten.
Verschiedene Medien berichten in den letzten Wochen über Betriebsaufgaben von Pflegeeinrichtungen in Niedersachsen. Im Landkreis Lüneburg etwa meldete das „Seniorenhaus Vögelsen GbR“ Ende Januar 2023 Insolvenz an. Wie in Vögelsen kam auch bei der Schließung einer Pflegeeinrichtung in Selsingen im Landkreis Rotenburg die Mitteilung der Betriebseinstellung für die Bewohnerinnen und Bewohner kurzfristig und überraschend.
Pflegeheimschließungen stellen dabei nicht nur in Niedersachsen, sondern ausweislich überregionaler Berichterstattung für die gesamte Bundesrepublik eine Herausforderung dar: Im vergangenen Jahr wurden bundesweit 142 Pflegeheime, 431 Pflegedienste und 24 Tagespflegen geschlossen. Diesen Zahlen stehen absehbar steigende Bedarfe gegenüber: Erwartet wird, dass sich die Anzahl pflegebedürftiger Bürgerinnen und Bürger bis 2050 verdoppeln wird, während die Pflegeversicherung seit Jahren Defizite aufweist.
Neben den Schließungen ganzer Einrichtungen entschließen sich Betreiber aufgrund des Personalmangels teilweise für die Nicht-Belegung von Zimmern, wie kürzlich ein Fall aus Hannover zeigt. Die Heimleiterin konnte mehrere Vollzeitstellen nicht besetzen und lässt daher 8 der 98 Zimmer leer stehen.
Dies vorausgeschickt fragen wir die Landesregierung:
Wie will die Landesregierung in Niedersachsen konkret und akut verhindern, dass weitere Pflegeeinrichtungen schließen?
Mit welchen Maßnahmen beabsichtigt die Regierung, dem akuten Fachkräftemangel im Bereich der Pflege entgegenzuwirken?
Welche konkreten Maßnahmen strebt die Landesregierung an, um hinsichtlich des hohen bürokratischen Aufwands für die Heimbetreiber, aber auch für das Pflegepersonal Entlastungen zu schaffen?
Minister Dr. Andreas Philippi beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:
̶ Es gilt das gesprochene Wort ̶
Die Pflegebranche hat gerade besondere Herausforderungen zu bewältigen und viele Menschen machen sich Sorgen bezüglich ihrer Pflege oder der Pflege ihrer Angehörigen. Wenn Pflegeheime schließen, dann muss für Bewohnerinnen und Bewohner eine neue Bleibe gefunden werden. Solch eine mit einem Umzug verbundene Umstellung ist für die betroffenen Menschen eine große Belastung.
Tatsächlich erreichen uns und auch die anderen Bundesländer aktuell Nachrichten über wirtschaftliche Schwierigkeiten oder Insolvenzanmeldungen von größeren Anbietern, die mehrere Pflegeheime betreiben. Zum Teil führt das zu Betreiberwechseln, in manchen Fällen auch zur Schließung von Heimen. Diese Entwicklung erfüllt uns mit Sorge.
Für die Schließung von Pflegeeinrichtungen gibt es vielfältige und oftmals sehr unterschiedliche Ursachen. So können z.B. falsche unternehmerische Entscheidungen oder riskante Geschäftsmodelle zur Insolvenz von Einrichtungen führen. Neben Insolvenzen gibt es zudem Betriebsniederlegungen, etwa weil eine Instandsetzung als zu kostspielig erachtet wird oder weil in einem familiengeführten Unternehmen keine Nachfolgerin und kein Nachfolger gefunden wurde. Auf diese unternehmerischen Entscheidungen hat das Land keinen unmittelbaren Einfluss.
Unser aller Ziel ist, dass in einer solchen Situation nicht die Pflegebedürftigen darunter zu leiden haben und wir in Niedersachsen ein flächendeckendes und gutes Versorgungsangebot vorhalten. Menschen, die pflegebedürftig werden und Hilfe brauchen, dürfen nicht im Stich gelassen werden!
Daher müssen wird dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen in der Pflege stimmen. Dazu gehört, dass die erbrachten Leistungen angemessen vergütet werden und dass genug qualifiziertes Personal zur Verfügung steht.
Ich möchte betonen, dass mir ganz besonders wichtig ist, dass die Pflegebedürftigen vor Ort nahtlos weiterversorgt werden, falls es zur kurzfristigen Schließung eines Pflegeheims kommt. Der ordnungsrechtliche Rahmen hierfür ist gegeben, alle Beteiligten müssen die Weiterversorgung sicherstellen.
Die niedersächsischen Heimaufsichtsbehörden unterstützen die Betreiber aktiv dabei, die Versorgung der Betroffenen zu gewährleisten und für sie einen Platz in einem anderen Pflegeheim zu finden.
Dieses vorausgeschickt beantworte ich Ihre Fragen für die Landesregierung wie folgt:
Zu 1:
Unser Ziel ist es, im Schulterschluss mit den Pflegekassen, den Kommunen, dem Bund und den Anbietern dafür zu sorgen, dass Pflegebedürftige in Niedersachsen sicher und gut versorgt werden. Dafür brauchen wir eine ausreichende Zahl an Pflegeeinrichtungen.
Ich bin im engen Austausch dazu mit den dortigen Ministerinnen und Ministern der anderen Länder, um gemeinsam an guten Lösungen zu arbeiten. In Niedersachsen stehen wir im Kontakt mit den Heimaufsichtsbehörden um die Entwicklung im Blick zu behalten bei Bedarf in konkreten Fällen zu beraten. Die jeweilige Heimaufsichtsbehörde vor Ort ist Ansprechpartner für die Einrichtungsbetreiber, wenn eine Schließung droht oder unmittelbar bevorsteht.
Wer in Niedersachsen den Betrieb eines Pflegeheims einstellen möchte, hat dieses unverzüglich der Heimaufsichtsbehörde anzuzeigen. Mit dieser Anzeige muss unter anderem die anderweitige Unterbringung der Bewohnerinnen und Bewohner dargelegt werden.
Die Ursachen, die von Anbietern für die Einstellung des Betriebs genannt werden, sind vielfältig. Als eine Ursache werden die Kostensteigerungen genannt. Aus meiner Sicht können wir allerdings von einer grundsätzlich auskömmlichen Refinanzierung der erbrachten Leistungen sprechen. Zumal es vielen Anbietern auch unter den gegebenen Bedingungen gelingt, einen wirtschaftlichen Betrieb sicherzustellen.
Als größte Herausforderung für das Land muss ich auch in diesem Zusammenhang den Fachkräftemangel erwähnen. Darauf komme ich im Einzelnen in der Antwort auf die 2. Frage zurück.
Lassen Sie mich aber in diesem Zusammenhang noch ein Thema ansprechen, das von den Pflegeanbietern immer wieder im Zusammenhang mit steigenden Kosten angesprochen wird: Das Thema Leiharbeit in der Pflege. Dies Thema ist mir auch als Arbeits- und Sozialminister ausgesprochen wichtig: Es kann nicht sein, dass Leiharbeitskräfte dauerhaft und zu deutlich besseren Konditionen als die fest angestellten Pflegekräfte in den Einrichtungen eingesetzt werden.
Aktuell begleiten wir intensiv die Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene. Wir bringen uns mit eigenen Anträgen in das Bundesratsverfahren zur bevorstehenden Pflegereform, dem Pflegeunterstützungs- und -Entlastungsgesetz (PUEG), ein.
Der Entwurf dieses Gesetzes enthält eine Regelung, mit der der Einsatz von Leiharbeitskräften in der Pflege reduziert werden soll, indem deren Einsatz nicht mehr deutlich höher vergütet wird als der von Tarifbeschäftigten. Eine solche Regelung begrüße ich sehr.
Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass zum Ausgleich des Energiepreisanstiegs vom Bund ein Hilfspaket bzw. Entlastungsprogramm für die Pflegeeinrichtungen mit einem Volumen von 2 Milliarden Euro aufgelegt worden ist. Damit soll aktuell die wirtschaftliche Situation von Pflegeeinrichtungen stabilisiert werden.
Zu 2:
Inzwischen sind etliche Branchen vom Fachkräftemangel betroffen. Wie heute bereits dargelegt wird die Landesregierung eine ressort- und branchenübergreifende Fachkräftestrategie auf den Weg bringen.
Zentrale Handlungsfelder sind:
▪ die zeitgemäße Stärkung der Ausbildung,
▪ der zielgerichtete Ausbau der Weiterbildung,### ▪ die stärkere Nutzung unserer inländischen Potenziale,
▪ die Arbeitsqualität und -kultur sowie die Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit und
▪ die Zuwanderung.
Acht Regionale Fachkräftebündnisse als Impulsgeber zur Verbesserung der regionalen Fachkräfteversorgung sind in Niedersachsen aktiv. Sie entwickeln neue innovative Ideen für Fachkräfteprojekte, die auf die Arbeitsmarktsituation vor Ort zugeschnitten sind und setzen diese in ihren Regionen um – auch im Pflegebereich!
Mit dem Projekt „Schüler goes Pflege“ der JadeBayGmbH wird die Gewinnung von jungen Menschen für die Ausbildung zur Pflegefachkraft gefördert. Es unterstützt beim Abbau von Hemmnissen und Berührungsängsten gegenüber dem Ausbildungsberuf. Hierfür werden zum Beispiel Pflegeeinrichtungen gemeinsam besucht. In den Schulen wird durch einen sogenannten Job-Bus vor Ort informiert. Auszubildende engagieren sich in einem Netzwerk als Ansprechpersonen für Schülerinnen und Schüler und sind Werbeträger für den Beruf.
Darüber hinaus ist die Fachkräftegewinnung aus dem Ausland ein wichtiger Baustein, um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken. Die Fallzahlen über alle Berufe haben sich seit Einführung des allgemeinen Anspruchs auf Durchführung einer Gleichwertigkeitsprüfung zwischen der ausländischen Berufsqualifikation und dem jeweiligen deutschen Referenzberuf in 2012 kontinuierlich erhöht. Die Antragszahlen haben sich seitdem mehr als verzehnfacht.
Erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass die Bundesregierung jetzt einen Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vorgelegt hat.
Erklärtes Ziel sind einfachere Wege, um bei uns in Deutschland arbeiten zu können.
Einen Mangel gibt es nicht nur an Pflegefachkräften, sondern auch an qualifizierten Pflegeassistenzkräften. Auch hier ist die Landesregierung bereits tätig geworden.
So hat das Land Niedersachsen in den vergangenen zwei Jahren mit Mitteln der Stiftung „Zukunft der Altenpflegeausbildung“ die Kampagne „Meine Zukunft Pflege“ auf den Weg gebracht. Das Besondere an dieser Kampagne war, dass sich „echte“ Pflegeassistentinnen und Pflegeassistenten beteiligt haben. Sie erklären mit eigenen Worten, worin das Besondere und Reizvolle ihres Berufes liegt.
Ergänzend zu der bestehenden zweijährigen Ausbildung zur Berufsfachschule Pflegeassistenz wurde in Zusammenarbeit mit den Nds. Kultusministerium und der Bundesagentur für Arbeit bereits der Einstieg in das zweite Ausbildungsjahr für vorerfahrene Kräfte ermöglicht.
Um dem bislang ohne berufliche Qualifikation tätigen Personalstamm zielgerichtete Qualifikationen anbieten zu können, wird aktuell mit den beteiligten Akteuren an Fortbildungen gearbeitet, welche die Qualifikation zur Pflegeassistenz ermöglichen.
Zu 3:
Es ist unser erklärtes Ziel, bürokratische Hürden abzubauen. Der Pflege- und Gesundheitsbereich soll gezielt von unnötigen Dokumentations- und Nachweispflichten entlastet werden. Dabei werden wir mit gutem Augenmaß handeln: Wir wollen gezielt sinnvolle Erleichterungen schaffen, dürfen aber nicht die hohen Ansprüche an die Versorgungsqualität in Niedersachsen gefährden.
Das Thema beschäftigt uns in den letzten Jahren: Unter dem Vorsitz des Landes begleiten Expertinnen und Experten der Einrichtungsträger, der Pflegekassen und der Prüfinstanzen die Umsetzung des vom Bund entwickelten sog. Strukturmodells zur Entbürokratisierung in der Langzeitpflege. Es ermöglicht eine rechtssichere Verschlankung der Pflegedokumentation. Die intensive und kontinuierliche Arbeit des Landesarbeitskreises Pflegedokumentation und Qualitätssicherung trägt zu einer flächendeckenden Einführung und Verstetigung des Strukturmodells bei.
Nicht nur die Dokumentation, sondern auch die Leistungsabrechnung wird häufig mit bürokratischen Hürden in Verbindung gebracht. So müssen Pflegeanbieter die erbrachten Leistungen sehr kleinteilig nachweisen und oft noch in Papierform vorlegen. Mein Haus setzt sich deshalb in der länderübergreifenden Arbeitsgruppe zur Digitalisierung in der Langzeitpflege dafür ein, endlich eine komplett digitale Abrechnung zu ermöglichen.
Foto: ms