Holzminden/Hildesheim (red). „Die Laubwälder in Patagonien sind wie ein großes Freilandlabor“, beschreibt Prof. Dr. Helge Walentowski das Forschungsprojekt KLIMNEM. Grund dafür sei die als „Südbuchen“ bezeichnete Gattung Nothofagus, die dort die auf der Nordhalbhugel beheimateten „Buchen“ (Gattung Fagus) ersetzt. Den gesamten Februar dauerte seine Forschungsreise in die Provinz Chubut in Südargentinien. Zum einen, um die zu erforschende Waldfläche selbst in Augenschein zu nehmen und auch um sich mit Kooperationspartner*innen im Projekt vor Ort auszutauschen.

In KLIMNEM, gefördert vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, geht es um nachhaltige Waldbewirtschaftung temperater, also in gemäßigten Zonen vorkommender Laubwälder auf der Nord- und der Südhalbkugel. Dabei werden Veränderungen in der Vegetation über längere Zeiträume untersucht und miteinander verglichen. So sollen Rückschlüsse gewonnen werden auf mögliche Auswirkungen der globalen Erderwärmung auf Waldgebiete.

„Die Besonderheit in diesen andinisch-patagonischen Laubwäldern ist, dass diese sehr großflächig zusammenhängend erhalten geblieben und auch großflächig ungenutzt, also kaum erschlossen sind“, sagt Walentowski, der im Bereich Boden- und Vegetationskunde sowie Naturschutz lehrt und als Dekan der Fakultät für Ressourcenmanagement in Göttingen vorsteht. Der Untersuchungsraum in Mitteleuropa wurde bereits im Vorgänger-Projekt NEMKLIM intensiv untersucht

Bei der Forschungsreise stellte Walentowski fest, dass eine Waldwirtschaft nur in den tieferen, leicht zugänglicheren Lagen stattfindet. Ansonsten seien die Wälder, abgesehen von Waldbränden, unberührt und deshalb sehr unzugänglich: „Durch die Steilhanglagen und einem sehr dichten Bambus-Dickicht im Unterwuchs, aber auch viel stark dimensioniertem, liegendem oder hängendem Totholz seien die Wälder sehr schwierig zu begehen“, sagt Walentowski, der von der weitgehenden Unerschlossenheit und Abgelegenheit der Gebiete fasziniert war: „Das ist mindestens dreimal so anstrengend im Vergleich mit dem Alpenraum, wenn man dort zum Beispiel 100 Höhenmeter überwinden möchte und entsprechend furchtbar aufwendig, sich fortzubewegen.“ Da keine Pfade vorhanden seien, habe man sich hauptsächlich auf GPS verlassen müssen.

Methodisch werden in den Waldgebieten sogenannte Transekte ausgewählt, Bereiche, die von den Waldgebieten nahe der chilenischen Grenze bis ca. 70 km in Richtung der patagonischen Steppenregion ins Landesinnere reichen. Entlang dieser Strecken können die Auswirkungen von verringerten Niederschlagsmengen von West nach Ost, zunehmender Temperaturen von den höheren Lagen hinab in die tieferen Lagen  - und aufgrund Wassermangel Trockenstress verstärkenden sonnigen Hängen auf die Vegetation untersucht werden. Neben den räumlichen Abfolgen werden auch Zeitreihenvergleiche durchgeführt, um z.B. die Auswirkungen von historischen und jüngeren Waldbrandereignissen zu erfassen, die in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben.

„Durch diese Vorauswahl hat man eine gute Möglichkeit, sehr viel Klimavariabilität abzubilden und Untersuchungsflächen anzulegen“, sagt Walentowski.„Wir können somit Projektionen in die Zukunft machen, in welche Richtung sich das Ganze dann wohl verändern wird, welche Arten eher profitieren und welche Arten darunter leiden werden, wenn das Klima wärmer und trockener wird“, so Walentowski.

Ziel sei es, ein adaptierbares, integratives Rauminformationsystem zu entwickeln, das in den kommenden Jahrzehnten Wissenschaftler*innen Langzeitbeobachtungen und weitere Forschung ermöglicht.

Mit der argentinischen Forschungseinrichtung vor Ort, dem CIEFAP (Centro de Investigación y Extensión Forestal Andino Patagónico) in Esquel, nahe der Grenze mit Chile, gebe es schon eine langjährige Kooperation, sagt Walentowski. Diese war durch den ehemaligen deutschen Co-Direktor des CIEFAP, späteren Dekans der Fakultät Ressourcenmanagement und Hochschulpräsidenten der HAWK, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Thren, initiiert worden. „Wir haben vereinbart, die Langzeitkooperation fortzuführen und die deutlich über den Projektzeitraum hinausgeht“, so Walentowski. Dazu gehöre auch ein Austausch von Wissenschaftler*innen und Studierenden, die im jeweils anderen Land ihre Abschlussarbeiten schreiben können.

Derzeit forschen drei Doktorand*innen aus Argentinien und ein Doktorand aus Deutschland im Rahmen des interdisziplinären KLIMNEM-Projektes. Die Vorhaben werden von der HAWK, der Universität Göttingen und der Universität Bolzano-Bozen eng vernetzt und in Kooperation betreut.  Eine weitere Neuerung dabei: Für Walentowski ist es das erste Mal, eine Doktorarbeit an der Hochschule in Erstbetreuung zu übernehmen: „Die Forschungsstandards sind ganz ähnlich wie bei uns, das ist ein ganz wertvoller Beitrag für uns zu Netzwerkbildung und Internationalisierung.“

Foto: Grupo de Comunicación – CIEFAP