Holzminden (red). Knapp zwei Jahre ist es her, da vermeldeten die Landräte der Kreise Holzminden und Göttingen sowie die Berufsbildenden Schulen aus Holzminden und Duderstadt stolz, dass man Blended Learning als Konzept für die Ausbildung von Groß- und Außenhandelskaufleuten integrieren wolle. Zur Auftaktveranstaltung in Duderstadt war extra die damalige Kultusministerin Frauke Heiligenstadt angereist, um einen Förderbescheid des Landes zu überreichen. Die Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) sollte das Projekt speziell für den ländlichen Raum wissenschaftlich begleiten. Die Erwartungen waren hoch, was ist also aus der Idee geworden, das klassische Schulbankdrücken mit digitalen Arbeitsinhalten zu vernetzen und zu verlinken?
Mit Blended Learning ließen sich gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, stellt Professorin Dr. Alexandra Engel vom Zukunftszentrum Holzminden-Höxter enthusiastisch fest. Ihre empirischen Untersuchungen haben mittlerweile ergeben, dass mit Blended Learning hohe Mobilitätsgewinne und bessere Lerninhalte erzielt werden. „Die Schüler werden darüber hinaus dazu befähigt, auch in den Betrieben viele Aufgaben besser zu verstehen und zu bewältigen“, kann Engel vermelden. Zusammen mit Andreas Hölzchen hatte sie bereits im März des Jahres eine Fachtagung zu dem Thema organisiert. Mit riesengroßer Resonanz. Zu der Veranstaltung kamen 120 Interessierte aus Schleswig-Holstein, Mecklenburg- Vorpommern und unterschiedlichen Teilen Niedersachsens extra nach Holzminden. Kein Wunder also, dass der Schulleiter der BBS beim Stichwort Blended Learning leuchtende Augen bekommt. Für ihn ist überhaupt am wichtigsten, dass durch die neue Lehrform ein Ausbildungsgang in der Region erhalten bleiben kann. „Wir haben hier eine Verantwortung gegenüber der Region, qualitativ hochwertige Ausbildung vor Ort weiter möglich zu machen“, sagt Hölzchen. Es sei darum gegangen, einen kleinen Ausbildungsgang zu sichern, der hier gebraucht wird. Mithilfe von Blended Learning sei das gelungen. Dem ländlichen Raum sind damit Bildungschancen erhalten geblieben.
Was aber verbirgt sich hinter dem nicht eben unmittelbar geläufigen Begriff „Blended Learning“ überhaupt genau? Bei Blended Learning geht es darum, den normalen Unterricht mit digitalen Mitteln zu flankieren, sei es direkt im Unterricht durch am Bildschirm erarbeitete Unterrichtsinhalte oder durch online-unterstütztes eigenständiges und vernetztes Lernen. Der klassische Unterricht wird also einerseits ergänzt durch mit digitalen Medien erarbeitete und kommunizierte Inhalte.
Andererseits können auch angeleitete Einzel- oder Gruppenarbeiten mithilfe von Videokonferenzen zu Hause bzw. im Betrieb fortgesetzt werden. Wieviel von was stattfindet, kann individuell entschieden werden. „Lernen bleibt Wissen in sozialer Beziehung vermittelt“, stellt Alexandra Engel dazu aber klar. Bedeutet: Auf gar keinen
Fall sollen die klassischen Strukturen von gemeinsamen Lernens zugunsten einer übers Netz isolierten Wissensvermittlung aufgegeben werden.
Die Präsenzlehre bleibt also ein wesentlicher Bestandteil des Berufsschulalltags. Denn weder soll den Auszubildenden ein unrealistisches Maß an Selbstdisziplin zugemutet werden, noch darf die Gefahr entstehen, dass aufgrund von betrieblichen Belangen der Schulunterricht vielleicht zurückgestellt werden muss. Dass die unmittelbare Kommunikation unersetzbar bleibt, ist allen Akteuren sowieso schon von Anfang an klar gewesen. „Der zwischenmenschliche soziale Aspekt darf und soll nicht verloren gehen“, betont Andreas Hölzchen. Am Ende, ist er sich sicher, ließen sich mit Blended Learning sogar leichter individuelle Lernwege erschließen – und auch von den Lehrern tolerieren.
„Die Chance ist, dass man stärker differenzieren kann zwischen Schülern, die Förderung brauchen, und solchen, die gefordert werden müssen“, findet auch einer jener Lehrer an den BBS, die mit Blended Learning in den letzten Jahren gearbeitet haben. Hinzu komme, dass sich dies auch besser kontrollieren lasse. Kein Wunder also, dass die meisten Lehrer in jedem Fall mit dem Lernformat weitermachen wollen. Sicher auch, weil der an der einen oder anderen Stelle wahrnehmbare Korrekturbedarf beim nächsten Mal angewendet werden soll. Vor allem aber ist auch den Lehrenden bewusst, dass die mediale Vielfalt heutzutage Möglichkeiten bietet, denen herkömmliche pädagogische Herangehensweisen nicht das Wasser reichen können. „Die nett aufgearbeiteten Drag-and-Drop-Aufgaben finden die Schüler cool“, ist im Forschungsbericht von einem Lehrer zu lesen, „das sind Möglichkeiten, die ich als Lehrer in der Form auf Papier nicht so darstellen kann.“
Der größte Gewinn digitalen Lernens scheint indessen jedoch die Stärkung gemeinschaftlicher Lernprozesse und eine stärkere Verantwortungsübernahme zu sein. „Bei dem spezifischen Thema Angebot-und Nachfragefunktion, wo wir halt in diesen Kleingruppen gearbeitet haben, da hab ich tatsächlich mit am meisten gelernt“, gibt etwa André, Auszubildender im Groß- und Außenhandel zu Protokoll. Und das nicht etwa, weil er die digitale Aufbereitung optisch so eingängig fand, sondern weil er zwischendurch in der Videokonferenz Verständnisfragen seiner Mitschülerin Helen zu klären hatte. „Wenn man‘s selber erklären kann, hat man‘s auf jeden Fall verstanden“, schlussfolgert er zu Recht. Abgesehen vom doppelten Lernerfolg scheint Blended Learning also keine digitale Einsamkeit zu verursachen, sondern das genaue Gegenteil.
Allen Erfolgsmeldungen zum Trotz darf aber nicht vergessen werden, dass das Konzept immer noch in der Entwicklungsphase steckt. „Wir haben da nur eine kleine Scheibe herausgeschnitten, es gibt da noch viele Möglichkeiten und Perspektiven“, unterstreicht Alexandra Engel.
Foto: Gerrit Klinge BBS Duderstadt