Holzminden (kp). Ab morgen wird einer der schlimmsten Fälle von Kindesmissbrauch in Nordrhein-Westfalen am Detmolder Landgericht verhandelt. Der Holzmindener Rechtsanwalt Sebastian Schaper ist einer von 17 Anwälten, die die Nebenklage der Opfer vertreten. Unser Redakteur, Kai Pöhl, hat ihn zwei Tage vor Prozessbeginn in seinem Büro besucht. Er wollte wissen, wie seine Vorbereitung aussieht und wie sehr ihn dieser Fall persönlich mitgenommen hat...
Die Akte auf seinem Tisch ist eine neue, sie hat nichts mehr mit dem Missbrauchsfall in Lügde zu tun. Die Vorbereitungen für den Prozess, der morgen vor der Jugendschutzkammer am Landgericht Detmold beginnt, hat er beendet. Er habe nicht lange nachdenken müssen, als ihn die Anfrage erreichte, die Nebenklage zweier mutmaßlicher Opfer zu vertreten. ,,Das musste einfach gemacht werden", sagt er. Der Holzmindener Sebastian Schaper ist einer von 17 Anwälten, die die 27 Opfer in einem der schlimmsten Missbrauchsfälle an Kindern in NRW vertreten. Erwartet wird ein Mammutprozess. Allein die Akten der drei Hauptangeklagten sollen mehr als 3000 Seiten umfassen. Der Inhalt der ausgewerteten DVD´s und Festplatten sei auf vier Aktenordner verteilt. Über 50 Zeugen sind vom Gericht geladen worden - darunter auch Kinder, die Opfer des sexuellen Missbrauchs wurden.
Bisher sind neun Verhandlungstermine vorgesehen, der letzte am 30. August. „Wie lange der Prozess tatsächlich dauert, hängt davon ab, ob es ein Geständnis geben wird“, sagt der Anwalt. Bisher sei das nicht der Fall. Was den Hauptangeklagten zur Last gelegt wird, macht selbst erfahrene Polizeibeamte und Juristen fassungslos: Auf einem Campingplatz in Lügde sollen über Jahre Kinder schwer sexuell missbraucht und dabei gefilmt worden sein. Die jüngsten Opfer seien gerade einmal vier Jahre alt gewesen. Allein dem Dauercamper und Holzhüttenbesitzer (hier sollen die Missbräuche stattgefunden haben), der 56-jährige Andreas V., werden 293 Fälle des sexuellen Missbrauchs gegen Kinder vorgeworfen. Der 34-jährige Steinheimer, Mario S., soll immer wieder an den Missbräuchen beteiligt gewesen sein. Er hatte selbst eine Parzelle auf dem Campingplatz. Der dritte Angeklagte, der 49-jährige Heiko V., soll die Missbräuche über das Internet gesehen, aber keine Kinder angefasst haben.
„Das ist schwer zu ertragen!“
Die Bitte, das Mandat zweier Opfer zu übernehmen, die im Lügder Missbrauchsfall als Nebenkläger zugelassen wurden, erreichte ihn Anfang Januar. Er zögerte nicht lange, wie er sagt. „Ich finde das wichtig.“ Der Holzmindener ist verheiratet und selbst Vater einer zweijährigen Tochter. Seit Sebastian Schaper als Anwalt praktiziert, habe er einen solchen Fall noch nicht erlebt. „In meiner beruflichen Praxis ist mir eine Strafsache in so einem Ausmaß noch nicht begegnet“, blickt er zurück. In Anbetracht des Umfangs sei er gespannt, wie das Gericht den Prozess führen wird. Er hoffe, dass die betroffenen Kinder durch den Prozess nicht nochmal belastet werden, denn einige von ihnen müssen vor Gericht aussagen. „Es sind Kinder, sie haben schon genug gelitten“, sagt er. Als die Staatsanwaltschaft Detmold im Mai erstmals die Akteneinsicht gewährte, habe er angefangen, sich ein genaues Bild über die Tatvorwürfe und Ermittlungsergebnisse zu machen. „Ich muss wissen, was den Angeklagten vorgeworfen wird.“ Alles, was er davor über den Fall wusste, habe er der Presse oder dem Gespräch mit seinen Mandanten entnommen. „In so einer Akte bekommt man dann das ungefilterte Ermittlungsergebnis präsentiert“, erklärt Sebastian Schaper, „das ist mitunter schwer zu ertragen!“
Antrag genehmigt: Mandant muss nicht vor Gericht erscheinen
Es sei ein Freitag gewesen, erinnert er sich. Die Ermittlungsakte erreichte sein Büro in der Kanzlei Hofmeister und Kollegen. Es sei eine CD-ROM mitgeliefert worden. Sie enthielt Video-Dateien des gefilmten Kindesmissbrauchs. Um sich das Videomaterial ansehen zu können, habe man zusätzlich ein Passwort bei der Staatsanwaltschaft anfordern müssen. An jenem Freitag habe er das Passwort angefordert. „Übers Wochenende kam dann der Entschluss, dass ich es nicht mehr sehen wollte“, sagt er. „Wäre ich Verteidiger gewesen, hätte ich es gemacht und auch machen müssen“, fügt er hinzu. Doch als Vertreter der Nebenklage ginge es ihm in erster Linie darum, zwischen seinen Mandanten, den Eltern und dem Gericht zu vermitteln und die Opfer fernzuhalten von allem, was ohne anwaltliche Vertretung auf sie einprasseln würde. Zuletzt genehmigte das Gericht einen Antrag, den er für einen seiner Mandanten stellte. „Mein Mandant muss vor Gericht nicht aussagen“, erklärt Sebastian Schaper. Es ist ein kleiner Erfolg, wie er zu verstehen gibt.
Wenn morgen ab 9 Uhr im Saal 165 am Detmolder Landgericht der Prozess eröffnet wird, trifft Sebastian Schaper erstmals auf seine 16 Kollegen – die anderen Vertreter der Nebenklage. Kontakt habe er zu ihnen bisher nicht gehabt. „Das ist auch nicht erforderlich“, sagt er. Vielmehr interessiere ihn der anschließende Ablauf hinsichtlich dieses Prozessumfangs. Im Gerichtssaal 165 ist vermutlich noch kein größerer Fall verhandelt worden. „Ich bin gespannt“, sagt er. Und wie denkt er über den Ausgang des Prozesses? „Ich vertraue in unseren Rechtsstaat. Wenn den Beschuldigten ihre Schuld nachgewiesen werden kann, werden sie ihre gerechte Strafe erhalten“, sagt Sebastian Schaper. Die Höchststrafe für die drei Angeklagten liegt bei 15 Jahren Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung.
Text/ Foto: Kai Pöhl