Landkreis Holzminden (red). Weltweit leiden Millionen von Menschen unter längerfristigen Auswirkungen einer Infektion mit dem COVID-19-Virus. Aus diesem Anlass fand nun am 15. Oktober 2021 auf dem Gesundheitscampus Göttingen (GCG) der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen (HAWK) das erste hybride Symposium „Post-/Long-COVID in der logopädischen Therapie“ statt. Das Symposium wurde vom Deutschen Bundesverband für Logopädie e.V. (dbl) und dem Studiengang Therapiewissenschaften, Studienrichtung Logopädie an der Fakultät Ingenieurwissenschaften und Gesundheit ausgerichtet.
Die WHO spricht von ca. 10 Prozent aller Infizierten, die nach einer Infektion unter unterschiedlichen Post-COVID-Beschwerden leiden. Die Hauptsymptome wie z.B. Atembeschwerden (Dyspnoe), Stimmstörungen (Dysphonie), Geruchs- und Geschmacksstörungen, Schluckstörungen (Dysphagie), Wortfindungsstörung, Fatigue, Lähmungen- und Sensibilitätsstörungen, Übelkeit und Appetitverlust betreffen auch die Handlungsfelder der Logopädie.
Dies zeigt die Notwendigkeit, sich auch im logopädischen Bereich vertieft mit diesem Thema auseinanderzusetzen, aktuelles Wissen und Erkenntnisse zu teilen, Erfahrungen im Rahmen eines thematischen Workshops (logopädisch-)fachlich zu reflektieren und zu diskutieren.
Vorträge und Workshops
Internationale und deutsche Expert*innen aus unterschiedlichen Professionen hielten die Vorträge. Dr. med. Christian Gogoll (Ev. Lungenklinik Berlin Buch) stellte die S1-Leitlinie „Post-COVID/Long-COVID“ vor, die im Juli 2021 erschien. Dabei ging er auf deren Entwicklung und ihre wesentlichen Inhalte ein. Im Anschluss sprach Prof. Dr. Nisreen A. Alwan (Associate Professor in Public Health, University of Southampton) und verdeutlichte gesundheitswissenschaftliche Erkenntnisse im Vortrag “Ten things we can learn from Post Covid Condition” aus Großbritannien.
Cordula Winterholler (M.A.) (Netzwerk Schluckstörungen, PostCovid-Ambulanz MMC, Nürnberg) fokussierte das „Pacing in der logopädischen Therapie“ in ihrem Impulsvortrag. Dies veranschaulichte sie anhand eines Fallbeispiels aus der logopädischen Versorgung. Prof. Dr. Thomas Hummel (Leitung des interdisziplinären Zentrums "Riechen und Schmecken", Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden) stellte die Bedeutung des Riechens und dessen Einschränkungen nach einer Infektion mit dem Covid-19-Virus dar. Er erläuterte in seinem Vortrag „Riechtraining bei Post-/Long-COVID-19“ die Notwendigkeit eines spezifischen und konsequent durchzuführenden Riechtrainings.
Die Vortragssession schloss Dr. Ulrike Frank (Exzellenzbereich Kognitionswissenschaften, Department Linguistik, Swallowing Research Lab, Universität Potsdam) mit ihrem Vortrag „Atmung und Dysphagie bei Post-/Long-Covid-19“ ab. Dabei ging sie auf die Atem- und Schluckstörungen ein, die als Spätfolgen der Virusinfektion und / oder der Gesundheitsversorgung auftreten können.
Am Nachmittag wurden zwei verschiedene Workshops angeboten. Im Workshop „Pacing in der logopädischen Therapie“ (Cordula Winterholler) wurde Pacing aus seiner Historie und in seiner Zielsetzung vertieft dargestellt und diskutiert. Deutlich wurde hier der Bedarf der Teilnehmenden, Pacing noch intensiver für die logopädische Therapie aufzubereiten und in zukünftigen Fortbildungen anhand von Fallbeispielen zu lernen. Im Workshop „Patient*innen mit Post-/Long-COVID in der logopädischen Versorgung: Entwicklung von Leitlinien zur Diagnostik und Therapie“ stellte Dr. Ulrike Frank einen Entwurf zum „Supplement Logopädie“ zur S1-Leitlinie „Post-COVID/Long-COVID“ vor.
Mit den Teilnehmenden wurden insbesondere die Diagnostikmöglichkeiten für die logopädischen Handlungsfelder „Schluckstörung“, „Stimmstörung“, „chronisch refraktärer Husten“ und „neurokognitive Kommunikationsstörungen“ diskutiert. Ziel war, die Inhalte des literaturbasiert entwickelten Supplements mit der Fachexpertise der Praktiker*innen zu diskutieren und zu spezifizieren.
Austausch der verschiedenen Professionen
An dem hybriden Symposium nahmen etwa 300 Personen aus ganz Deutschland und anderen europäischen Ländern teil. Der Großteil der Teilnehmenden waren praktisch-tätige Therapeut*innen in Kliniken, Rehabilitationseinrichtungen und ambulanten Praxen. Ebenso nahmen Vertreter*innen der Gesundheitsregion Göttingen/Südniedersachsen, von Krankenkassen sowie Kolleg*innen der Universitätsmedizin Göttingen und Kolleg*innen und Studierende/Auszubildende anderer Hochschulen und Berufsfachschulen teil.
Dagmar Karrasch, Präsidentin des dbl, resümiert, dass die Logopädie als eine angewandte Wissenschaft verdeutlicht wurde: „Das Streben nach theoriegeleitetem Handeln und die Suche nach vorhandenem Wissen auch aus angrenzenden Wissenschaftsgebieten gehören ebenso zu unserer Profession wie Austausch und Lernwerte über Erfahrungen, die im Rahmen der klinischen Versorgung gemacht werden. Für mich war dies eine Sternstunde des Diskurses – hier konnte man beim Wissenszuwachs unserer Profession zu Post-/Long-COVID live dabei sein.“
Am Ende des Symposiums dankte Prof. Dr. Juliane Leinweber (Studiengang Therapiewissenschaften, Studienrichtung Logopädie) der Fakultät Ingenieurwissenschaften und Gesundheit an der HAWK für ihre Unterstützung als Schirmherrin des Symposiums von dbl und GCG in den neuen Räumlichkeiten im Sartorius Quartier. Leinweber freute sich über das große (inter-)nationale Interesse an diesem ersten Symposium am Gesundheitscampus Göttingen, durch das ein wichtiger Beitrag zum fachlichen Diskurs und zur Sichtbarkeit der Logopädie zum Thema Post-/Long-COVID geleistet wurde.
Foto: HAWK